In letzter Zeit haben wir ziemlich viel Kokosnussmilch („Buko Joe“) getrunken. Nachdem Kokosnussöl eher verpönt ist, fragen wir uns, wie gesund diese Kokosnussmilch und das dazu gehörende „Fleisch“ ist, vor allem in Bezug aufs Cholesterin. Was weiss das Textatelier hierüber?
Rolf P. Hess, Coralpoint, Mactan, Cebu, Philippines
Antwort: Kokospalmen (Cocos nucifera L., Araceae) sind die Zierde von Hunderttausenden von Kilometern Meeresstränden in allen Gebieten zwischen den Wendekreisen. Für uns symbolisieren die bis 30 m hohen Schopfbäume mit ihren vom Vegetationskegel ausgehenden Palmwedeln Ferien, Entspannung; ihr ästhetischer Wert ist gar nicht zu ermessen. Einheimische Männer mit nackten Füssen klettern die manchmal leicht gegen das Meer geneigten Stämme empor. Die Palmkletterer bilden mit dem Stamm zusammen ein Dreieck, halten sich während des harmonischen, affenartigen Aufstiegs immer mit einer Hand oberhalb der anderen fest und haben bei ihrer Bewegung an Baumstämmen offensichtlich Kletter-Fähigkeiten wiedererweckt, die stammesgeschichtlich noch vorhanden sind. Man fühlt sich tief in die heile Vergangenheit versetzt und geniesst es. Für die Kokosernte werden übrigens manchmal auch abgerichtete Affen eingesetzt. Sie zeigen, wie man richtig klettert.
Das reine Fruchtwasser im Innern der "Nüsse" ist in tropischen Gebieten wohl das grossartigste und preiswerteste Getränk, das es gibt. Es findet sich vor allem in jüngeren Früchten und ist eine delikat aromatische, leicht süssliche, kühle und erfrischende Flüssigkeit, die ich auf Reisen allem vorziehe, was in Fläschchen und Dosen angeboten wird. 7 Monate alte Früchte enthalten die grösste Wassermenge, in der etwas Zucker, Kalzium und Vitamin C zu finden sind. Durch Schütteln der Früchte kann auf das Alter geschlossen werden: Mit zunehmender Reife verringert sich die Flüssigkeitsmenge, bis bei der reifen Frucht, wenn sich alle Fettbestandteile an den Wänden niedergeschlagen haben und das Wasser aufgesogen ist, nur noch Hohlraum übrig bleibt. Als "Buko-Juice" bezeichnet man auf den Philippinen eine frische Kokosnuss mit abgeschlagener Spitze, deren Fruchtwasser man trinkt und deren Fleisch man herauslöffelt. Der Buko-Joe ist wahrscheinlich ein Wortspiel: Fruchtwasser mit Fruchtfleisch als Gesundbrunnen und Trinkgenuss, den üblichen gefärbten Zuckerwassern aus der chemischen Industrie kokospalmenhoch überlegen!
Trinkfrüchte werden von Strassenhändlern überall angeboten oder von kletterfreudigen Knaben direkt von der Palme geholt und mit einem grossen Hackmesser mit einem wohlgezielten Schlag geöffnet. Diese Naturkonserven sind auch in Restaurants zu haben. Der köstliche Saft unter der abgeschlagenen Kuppel der Frucht ist das bakteriologisch denkbar reinste Wasser. Man kann diese Flüssigkeit sogar für Infusionen verwenden oder aus ihr auch Essig (durch Gärung an der Sonne) oder Bier herstellen. Den höchsten Trinkgenuss bietet die goldgelbe bis orangefarbene Königskokosnuss (King Coconut, C. nucifera var. aurantiaca).
Alles kann verwertet werden
Jeder Teil der Kokospalme kann genutzt werden; es gibt keine andere Nutzpflanze, die sich derart vielseitig verwenden lässt, inkl. das Holz (Bauholz, Möbel), die Palmblätter und die Fasern, der Kokosbast (Seile, Tauwerk, Bürsten und Fussmatten) usw. Der aufsteigende Zellsaft (12 bis 17,5% Zuckergehalt), kann abgezapft, zu Palmzucker (Jaggery) eingedickt, als Palmsaft getrunken oder in Palmwein oder Arrak ("Toddy", Whisky der Südsee) umgewandelt werden, was hauptsächlich in Thailand sowie auf Java, Goa und Sri Lanka geschieht. Palmweinzapfer, die mit Steigeisen auf Palmen bei den jungen, noch geschlossenen Blüten herumturnen, ist ein eigener und gefährlicher Beruf.
Deine Frage, lieber Rolf, bezieht sich nicht auf das Fruchtwasser und nicht auf den Zellsaft, sondern im Wesentlichen auf das weisse Fruchtfleisch. Deshalb ist es angezeigt, eine Kokosnuss genauer anzuschauen: Die Kokosnüsse besitzen als äusserste Schicht eine ledrig-glatte Fruchtwand (Exokarp), darunter eine faserige Mittelschicht (Mesoskarp) und anschliessend eine steinharte Fruchtwand (Endokarp), der eigentliche "Stein". Die Schalen dienen als Haushaltgeräte (Schöpflöffel), Sammelnäpfe für Latexsaft, kunstgewerbliche Gegenstände wie Musikinstrumente und Souvenirs, oder sie werden zu Holzkohle verarbeitet. Der Russ der verkohlten Schale wird als Farbpigment zum Tätowieren sowie als Tusche oder zusammen mit Kokosöl als Bootsfarbe eingesetzt. Die ganzen Nüsse verwenden gläubige Hindus in der Verehrung der Götter bei unzähligen häuslichen Ritualen. Kokosnüsse verkörpern Reinheit, Fruchtbarkeit und Erfüllung.
Das Innere der reifen Frucht ist mit einem weissen Nährgewebe (Endosperm), Kopra genannt, ausgekleidet, in dessen Hohlraum sich das Fruchtwasser befindet. Das feste bis schlabbrige Nährgewebe ("Buko" oder "Fruchtfleisch"), das eigentlich für den Keimling bestimmt wäre, wird wie folgt gewonnen: Die reifen Früchte werden zuerst von der Faserschicht befreit, dann mit Hilfe einer in den Boden gerammten Stahlklinge ("Para") halbiert und zum Trocknen ausgelegt. Dabei schrumpft die Kopra, so dass sie aus der Schale befreit werden kann, etwa 800 g pro Frucht.
Diese Kopra wird zusammen mit dem Fruchtwasser, so solches noch vorhanden ist, zu Kokosmilch vermischt, verquirlt oder für delikates Süssgebäck (wie die bei uns bekannten Makrönli und Waffelfüllungen) benutzt. Auch in Überzugsmassen findet man es, weil es beim Schmelzen im Mund angenehm kühlend wirkt.
In der Regel wird die Kopra in Ölmühlen weiterverarbeitet und mit Hexan extrahiert. In getrockneter Form enthält sie 63 bis 70% Fett (Myristinsäure), das zu Speisezwecken, vor allem zum Braten, oder als Lampenöl verwendet werden kann. Es wird als Palmin (Kokosfett) bezeichnet und enthält hauptsächlich Glyceride der Laurin-, Myristin-, Kaprin- und Palmitinsäure sowie kleine Anteile weiterer Fettsäuren, auch Lezithin. Wegen des breiten Fettsäuren-Spektrums ist es trotz des hohen Anteils an gesättigten Fettsäuren sicher nicht so ungesund, wie man ihm vorwirft, auch wenn es wie Palmöl den Cholesterinjägern nicht gefällt.
Das Palmin[1] (Plattenfett, Kokosnussbutter), das auch zum Einfetten von Herdplatten verwendet wird, schmilzt bei 20 bis 23°C und ist in warmen Ländern somit stets als Öl anzutreffen, oder aber es wird gehärtet und verliert dadurch seine besten Eigenschaften. Das Kokosöl dient auch als Heil- und Sonnenschutzmittel. Es lindert Hautentzündungen. Den Haaren gibt es einen sanften, satt-schimmernden Glanz und wohltuenden Duft. Unbrauchbare Chargen gehen in die Kerzen-, Waschmittel-, Kosmetik- oder Seifenindustrie, für die im Übrigen Kokosöl im grossen Stil produziert wird. Dessen hoher Gehalt an Laurinsäure ist eine der Grundlagen für Detergentien (Netzmittel). Die Pressrückstände dienen als Viehfutter es geht also nichts verloren.
Das Fruchtfleisch der Kokosnuss ist wegen des hohen Fettanteils sehr nahrhaft. Es kommt auch in getrockneter und geraffelter Form als Kokosraspeln in den Handel, eine bereichernde, geschmacksverbessernde Zutat fürs Gebäck. Das "Fleisch" wird auch zur Herstellung von Kokosnussmilch für den Export getrocknet und pulverisiert; das Pulver kann dann mit Wasser aufgerührt oder -geschüttelt werden. Kokosnussmilch spielt in der asiatischen Küche eine wesentliche Rolle.
Unterschiedliche Kokosöl-Qualitäten
Wie gesund sind das Kopra und die daraus hergestellten Produkte? Die auf das hochgespielte Cholesterin reduzierte Betrachtungsweise greift viel zu kurz. Sicher gehört das Kokosöl, das durch Pressen und eine intensive Verarbeitung gewonnen wird, nicht zu den hochwertigsten Ölen, weshalb es grösstenteils industriell verarbeitet wird. Im einigermassen naturbelassenen Zustand aber hat es mit seinem nussartigen Geschmack gastronomische Qualitäten, sogar eine gewisse gesundheitliche Bedeutung und eignet sich auch recht gut zum Braten oder Frittieren.
Man muss schon auf die Qualitäten achten: "RBD coconut oil" bedeutet, dass es eine Reinigung (refining), eine Bleichung (bleaching) und eine Desodorierung (deodorizing) hinter sich hat; es ist meist gehärtet und teilhydriert. Solches Öl ist nicht mehr wertvoll, wie jedes andere intensiv verarbeitete Öl auch. Es gibt aber auch kaltgepresste Kokosnussöle aus frischen, reifen Früchten: "Virgin Coconut Oil (VCO)", das etwas nördlich von Deiner Cebu-Residenz, auf der Hauptinsel Luzon, hergestellt wird und bei Euch zu beschaffen sein müsste. In diesem Öl kommt der unter anderem auch hohe Anteil an Laurinsäure zur Geltung, die wegen der relativ kurzen Molekülkette bemerkenswerterweise nur wenig Kalorien hat.
Die eigentliche Kokosnussmilch wird durch Zerkleinern und Auspressen des Fruchtfleisches gewonnen. Lässt man sie stehen und während 2 Tagen fermentieren, führt das zur Trennung von Wasser und Öl, ein seit Jahrhunderten bekanntes Herstellungsverfahren. Dieses Kokosöl gilt als gesunde Energiequelle, Verdauungshilfe und sogar als Abwehrmittel gegen Pilzinfektionen, und es schützt die Leber, wenn zu viel Alkohol auf sie einströmen sollte.
Ich plädiere ohnehin für möglichst viel Abwechslung bei den Ölen und würde als Philippino ein jungfräuliches Kokosöl unbedingt in die Küche einbeziehen. Daneben würde ich es vor allem als günstiges, natürliches, pflegendes und feuchtigkeitsspendendes Hautpflegemittel einsetzen, das sogar die Hautfaltenbildung vermindern und das Haar kräftigen soll.
Weit verbreitete "Bäume des Lebens"
Vielleicht sind Kokosprodukte so verachtet, weil es sie fast wie Sand am Meer gibt und sie manchmal brutal industriell verarbeitet werden. Manchmal bilden Kokospalmen auf den leichten Anschwemmungs- und Sandböden über einer Lehmgrundlage, die ihnen Halt bietet, ganze Wälder. Wasserströmungen haben die zähen Nüsse offensichtlich über weite Strecken verfrachtet, so dass sie sozusagen als Strandgut ein neues Ufer besiedeln und dieses gewissermassen möblieren konnten. Da der Embryo (in einem der 3 Keimporen oder "Augen" der harten Hülle) das Meerwasser nur beschränkte Zeit erträgt, erfolgt die Verbreitung sicher etappenweise und zum Teil mit menschlichem Zutun. Die Palmen, die auf 1200 bis 2000 mm Jahresniederschlag angewiesen sind, dekorieren die Landschaft und bieten Nahrung und Tranksame, das ganze Jahr über. Sie werden deshalb auch "Bäume des Lebens" genannt.
Ihrer weiten Verbreitung wegen ist nicht eindeutig geklärt, woher die Kokospalmen ursprünglich stammen. Heute tippt man auf den melanesischen (Inselgebiet im südwestlichen Pazifik) oder indopazifischen Raum. Kokospalmen wachsen überall, wo eine gleichmässig hohe Luftfeuchtigkeit und eine Temperatur von etwa 28 bis 34°C vorhanden sind, auch landeinwärts. Sie können einen salzhaltigen Boden problemlos ertragen. Die elastischen Adventivwurzeln am Stammfuss bilden ein dichtes, mehrfachverzweigtes Netz 5 bis 7 m um den Stamm herum, das ebenfalls eine Sehenswürdigkeit ist. Es reicht nur etwa 1,5 m in die Tiefe, wie oft an unterspülten Bäumen zu erkennen ist.
Kokosnüsse sollen den Bewohnern von Südasien schon vor 4000 Jahren als Nahrung gedient haben. Noch heute spielt die Kokosnuss überall in der Ernährung (Fett- und Eiweissquelle) der Ureinwohner eine grosse Rolle, für den Export ist sie weniger bedeutsam. Für rund 400 Millionen Menschen der tropischen Regionen ist die Kokospalme die wichtigste Nutzpflanze, und somit kann an ihr nicht so viel falsch sein wie westliche Fehlernährungstheoretiker immer wieder vermuten. Man kann die guten Eigenschaften des Kerninhalts natürlich mit lebensmitteltechnologischen Verunstaltungen verderben und dann sind die Bedenken sehr wohl am Platze.
Nutzpflanze mit Bedeutung
Die normale Kokospalme lässt ihre ersten Früchte nach 6 bis 8 Jahren reifen es sind, botanisch gesehen, keine Nüsse, sondern Steinfrüchte. Im Erwachsenenalter bringt eine Palme alljährlich 60 bis 70 Nüsse hervor, manchmal auch mehr. Ständig wachsen neue nach. Sie wird, ähnlich wie der Mensch, 70 und manchmal auch 100 Jahre alt. Im Plantagenanbau, mit dem Holländer und Portugiesen 1740 begonnen haben, finden pro Hektare etwa 20 Palmen Platz, was einem Jahresertrag von 1200 bis 1400 Früchten entspricht. Nach der Bestäubung durch Insekten reifen die Früchte innerhalb von 12 Monaten heran. Der grossen Abstände wegen werden meistens Zwischenpflanzungen angelegt, wobei eine Kombination mit Reis besonders günstig sein soll. Der Stamm kann auch als Stütze für rankende Nutzpflanzen wie Pfeffer und Vanille dienen.
In unseren nördlichen Breiten ist wenig bekannt, dass es sich bei der Kokosnuss um eine der weltwirtschaftlich wichtigsten Nutzpflanzen handelt, die allerdings durch Soja etwas verdrängt worden ist. Die Welternte von Kokosnüssen kann nur geschätzt werden, da ja nicht jede lokal verzehrte Nuss in eine Statistik einfliesst; sie beträgt jährlich etwa 40 Mio. t. An der Spitze der Produktion liegen die Philippinen, was Deinen Grosskonsum erklärt (beziehungsweise sich aus Deinem Grosskonsum ergibt...), sodann Indonesien und Indien (vor allem Kerala, was auf Sanskrit "Land der Kokosnüsse" bedeutet), Sri Lanka, Malaysia, Thailand, Papua-Neuguinea, Mexiko, Vietnam, Mozambique, Tansania und die Elfenbeinküste. Das indische Landwirtschaftsministerium hat ein eigenes Coconut Development Board eingerichtet, das sich der wichtigen Palmenwirtschaft annimmt.
Der Plantagenanbau mit 500 bis 1000 Kokospalmen und dem Düngereinsatz hat wie jede Form von Monokultur auch in diesem Fall zu Gleichgewichtsstörungen geführt. Gelber Fleckenbefall, Knospenfäulnis, das Ausbluten des Stammes und vor allem die schwarzköpfige Raupe Nephantis serinopa hat in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts begonnen, die südindischen Palmenhaine zu besiedeln. Die Palmwedel werden braun und fallen ab. Da die Photosynthese beeinträchtigt ist, kann die Frucht nicht mehr wachsen. Die Ciba-Geigy (heute Novartis) entwickelte deshalb das "Nuvacron", das nach der Ernte in die Palmstämme eingespritzt wurde und die Raupen tötete; Rückstände wurden laut dem Unternehmen nach 20 Tagen nicht mehr gefunden. Auch Fliegende Hunde reduzieren den Ertrag, weil sie junge Kokosnüsse öffnen und das Wasser trinken intelligente Tiere.
Wenn ich in der Nähe von Kokospalmen leben würde, spräche ich den Kokosnüssen und den daraus gewonnenen Produkten intensiv zu. Hier in Zentraleuropa behelfe ich mich gelegentlich mit etwas Gebäck aus Kokosraspel. Vielleicht bringst Du mir als Honorar für diese ausführliche Antwort bei Deinem nächsten Europabesuch ein Fläschchen VCO-Kokosöl mit. Ich wüsste es zu geniessen!
Walter
___________ [1] Die Kokosnussbutter hat folgende mittlere Gehalte an Fettsäuren: Laurinsäure 44-51%, Myristinsäure 13-18%, Palmitinsäure 8-10% Stearinsäure 1-3%, Linolsäure 0-2%, Ölsäure 5-8% und niedere Fettsäuren 7-13% (Quelle: "Unterlagen zur Vorlesung: Makromolekulare Chemie, Ökologie und Ökonomie der Nachwachsenden Rohstoffe" von Erich Gruber, http://www.cellulose-papier.chemie.tu-darmstadt.de).
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