Das Ballenberg-Syndrom
„Früher war es nichts Aussergewöhnliches, ein gestricktes Haus Balken um Balken wieder abzutragen und an anderer Stelle wieder aufzubauen.“ Dies schrieb vor gut 30 Jahren der Lokalhistoriker von Wolfhalden AR, Ernst Züst-Walser , als gerade eines der schönsten Bürgerhäuser aus der Tobler-Dynastie (Leinwandkaufleute) im „Luchten“ abgebrochen wurde, in einem Zeitungsartikel. Im Rahmen des masslosen Ausbaus des Strassennetzes mussten überall viele Häuser, auch erhaltenswürdige, weichen. Eine kleine Auswahl fand Zuflucht auf dem Ballenberg, damit unvergessen bleibt, wie stil- und charaktervoll früher noch gebaut wurde. Der Rest wurde vernichtet.
Wenn man die unzähligen seelenlosen Häuser betrachtet, die in den vergangenen Jahrzehnten in die Landschaften geklotzt wurden, fragt man sich schon, ob es in Zukunft einmal Heimatschützer geben wird, die einen Einsatz für deren Erhaltung als lohnenswert erachten werden. Zweifellos gibt es neuere Bauten, bei denen das der Fall sein könnte. Nehmen wir an, das sei der Fall, stellt sich die Frage, ob das denn die verwendeten modernen Baumaterialien zulassen werden; im Unterschied zu Stein und Holz ist die Lebensdauer von Kunststoffen beschränkt. Wenn der Weichmacher entwichen ist und die Stabilisatoren ermüdet sind, wird die Sache brüchig, wie schon jede Giesskanne lehrt. Plötzlich bricht der Haltegriff ab. Dann bleibt nur Sondermüll zurück, dessen Beseitigung Kosten und Belastungen verursacht.
Offensichtlich hat man es in der jüngeren Vergangenheit vergessen, jeweils am Anfang von Herstellungs- und Bauprozessen ans Ende zu denken. Angesichts der jährlich anfallenden 8 bis 9 Millionen Tonnen Abfall aus den Überresten von Altwagen will die EU wenigstens in Bezug auf Autos einen solchen Denkprozess einleiten. Um die Altfahrzeuge in Zukunft besser recyceln zu können, sollen die Automobilhersteller ab sofort bereits bei der Konstruktion und Produktion von neuen Autos die spätere Demontage vorsehen. Ab 2008 müssen 80 % der in Fahrzeugen verwendeten Materialien wiederverwertet werden können. Das schreibt eine neue Richtlinie vor, die vom Europäischen Parlament und vom Rat auf Vorlage der Kommission im März 2004 verabschiedet wurde. Eine weitere Anhebung dieser Mindestwerte ist bis 2015 vorgesehen.
Diese Idee sollte Schule machen und sich auf alle Produkte beziehen, auch auf Bauwerke. Nach einer Phase des angenehmen Bewohnens könnte man sie dann zerlegen und ihre Bestandteile wiederverwerten. Den Begriff dafür gibt es schon: Nachhaltigkeit.
h.
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