Nachruf auf Dolly
Wir werden Dich, liebe Dolly, nicht vergessen. Du warst ein herzensgutes, friedliches, um nicht zu sagen tolles Tier. Du warst das erste vaterlose Säugetier der Geschichte, die Kopie eines anderen Schafes ohne geschlechtliches Tun, geklont aus einer Euterzelle. Du hast am 5. Juli 1996 das Licht dieser Welt erblickt und stolze 13 Pfund und 100 g gewogen. Dein Name Dolly erinnert deshalb an eine vollstbusige Countrysängerin (Dolly Parton); ihr beide seid zu Medienstars geworden, zu Galionsfiguren, euerer Ausgefallenheit und Aufgefallenheit wegen, versteht sich. Aber Du musstest zuerst gehen.
Liebe Gemeinde! Dollys wissenschaftlicher Vater war ein Bioingenieur, Ian Wilmut, der die Kerntransplantation vorgenommen hatte. Das Klonschäfchen wuchs ganz normal auf, gebar auf ebenso natürliche Weise 3 Lämmer, jeweils eines aufs Mal. Die Biotechnologie-Aktien zogen an. Ein Quantensprung. Doch hinter Dollys Mutterglück, hinter seinem unschuldigen Blöken und sanftmütigen In-die-Kameras-Blicken verbarg sich die Tragik der zivilisierten Menschheit mit ihrer Naturabgewandtheit. Das liebe Tier war krankheitsanfällig, neigte zu Übergewicht, musste Diät halten und litt unter Arthritis; es alterte doppelt so schnell wie das bei Schafen üblich ist. Die Enden der Chromosomen (Telomere) in seinen Zellen waren schon allzu früh auffallend kurz, unverkennbare Zeichen von vorzeitigem Alter. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als viel früher ins Gras der schottischen Highlands beim Roslin-Institut zu beissen als das bei seinesgleichen üblich ist. Da halfen selbst die üblichen Verjüngungsmethoden und Methoden der Krankheitsbekämpfung nichts. Dolly starb am 14. Februar 2003; es wurde von seinem Leiden erlöst.
Hello, Dolly, ruhe in Frieden! Dein lammfrommes Leben war nicht umsonst. Du hast unsere Erkenntnisse weitergebracht. In unserem Normierungswahn wollten wir es Dir gleichtun. Wir wissen jetzt wenigstens, wie das herauskommt. Wir danken dir aus unseren verborgensten Genen mit Einschluss der gesamten DNA-Information heraus. So etwas soll uns nicht wieder passieren. Die Schranken, die gefallen waren, hast Du im letzten Moment wieder aufgebaut. Du wusstest, worauf es ankommt.
wh.
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