Gedanken zu bloggerischen Qualitätsfragen
In der Vogelgrippe-Sonderausgabe vom 8. März 2006 hat die Wochenzeitung „Zeit-Fragen“ einen Artikel über den bloggerischen Einfluss auf die Vogelgrippe-Pankimache in den USA dargestellt und einige „Bemerkungen zum ‚Blogging’“ beigefügt. Nachdem ich selber (mit Ausnahme von Radio und Fernsehen) alle publizistischen Bereiche von der Lokalzeitung über die Redaktion einer Tageszeitung, die Leitung einer Fachzeitschrift und die Mitarbeit bei einer Nachrichtenagentur bis zur Verlagsgründung und zum Blogging durchlaufen habe oder durchlaufe, erlaube ich mir, einige persönliche Gedanken zum Thema Blogs festzuhalten.
Ob man einen Text drucken lässt oder elektronisch verbreitet, ändert nichts an dessen Qualität; er ereicht nur ein anderes Publikum. Der Unterschied zwischen der Publikation in einer Zeitung einerseits und oder als Blog (Weblog = Tagebuchblatt) im Internet anderseits beruht darin, dass das Schriftstück im Falle des Druckmediums eine selektionierende und redigierende Redaktion passieren muss, der unabhängige Blogger seine Arbeit aber ohne Umwege praktisch per Tastendruck sofort ins Internet stellen kann. Wie viel Sorgfalt er seinem Text angedeihen lässt, ergibt sich aus seiner Persönlichkeitsstruktur.
Das Selektionieren und Redigieren ist ein Dienst am Leser; wenn diese Arbeiten kompetent vorgenommen werden, verschonen sie den Nutzer vor Überflüssigem, Fehlerhaftem, Tendenziösem und Schleichwerbung. Aus den Sparübungen in den Medienhäusern ist in den letzten Jahren allerdings eine mediokre journalistische Qualität herausgekommen, bei der oft unbesehen übernommenes Agentur- und PR-Material dominiert. Die Nachteile sind im Zeitalter des mainstreamigen, auf Synergieeffekte ausgerichteten Konzernjournalismus neben dem Zeitverlust die Reduktion auf das, was ins Konzept des ehrenwerten Hauses passt. Darüber, was „Nachrichtenwert“ hat und wie kommentiert wird, entscheiden eine oder wenige Personen. Sie richten sich offensichtlich häufig auf CNN, Boulevardmedien (inkl. Fernsehen) und Presseagenturen aus. Das Resultat ist ein Einheitsbrei in Bezug auf Information und Kommentar. Der handelübliche Journalismus ist in einer Art Faradaykäfig gefangen, einer zusammenhängenden, hohlen Metallfläche, worin die Feldstärke gleich Null ist.
Die Blogger kennen solche Beschränkungen nicht. Sie können sozusagen auf freier Wildbahn offen und ehrlich schreiben, was ihnen auf den Nägeln brennt. Das Resultat davon ist, dass viel unnützes Geschwätz im virtuellen Raum verbreitet wird, auch Kindereien im SMS-Stil für Kinder und solche, die sich ein Leben lang gegen das Erwachsenwerden wehren. Da es im Netz leistungsfähige Selektionsgeräte (Suchmaschinen) gibt, ist das keine Tragödie; es ist einfach, die Spreu vom Weizen zu trennen, und so wird sich dann eben durchsetzen, was Gewicht und Bestand hat.
In der Blogosphäre sind viele unabhängige Denker und Schreiber tätig, welche die Diskussion beleben, neue Gedanken einbringen oder eigene Beobachtungen und Empfindungen beschreiben, die sonst keine Chance auf Veröffentlichung hätten – bei diesen Papierpreisen und Portokosten! Die Schnelligkeit ist neben der Unabhängigkeit, die auch Ehrlichkeit bedeuten kann, ein weiteres Plus.
Zur Ehrlichkeit gehört die in der Regel verwendete Ich-Form, die in der Literatur gang und gäbe, im herkömmlichen Journalismus aber verpönt ist. Denn jeder Bericht, auch wenn er unter dem Attribut „objektiv“ daherkommt, ist subjektiv – durch Auswahl der Fakten, Gewichtung, Formulierung, Stil. Dazu müsste man eigentlich stehen. Deshalb gewinnt in meinem eigenen Schaffen die Ich-Form einen immer höheren Stellenwert.
Blogs als persönliche Aufzeichnungen sind neue Elemente in der Medienlandschaft, und sie unterliegen den üblichen Ausleseprinzipien wie alles in der Natur und im Wirtschaftsleben: Was keine Beachtung, keine Nutzer findet, wird bald verschwinden, wo aber aus Vertrauen eine Nachfrage entsteht, blühen die Geschäfte bzw. wenigstens die Zugriffszahlen.
Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass jeder Text eine Prüfungsarbeit ist, wo immer er auch verbreitet wird: Der Leser spürt genau, was im Autor steckt; denn das Schreiben ist eine Abfolge von Informationen und Gedanken, die in eine geeignete Form gebracht werden müssen. Sind die Informationen unglaubwürdig, falsch, die Gedanken verdreht und oberflächlich und die Form chaotisch, wendet sich der Leser ab, und er wird sich vom Schreiber definitiv trennen – das Umgekehrte ist ebenfalls der Fall.
Die Zustände auf dem etablierten Medienmarkt schreien gerade nach neuen Formen. Wir Blogger sind in der Trainingsphase.