Das Textatelier und sein geistiges Eigentum
Es seien die schlechtesten Früchte nicht, an denen die Wespen nagen, heisst es. Genauso hielt es auch Eva Thiel aus D-65760 Eschborn, die ein Schreibbüro eröffnete und nach einem guten Namen suchte. Sie wurde fündig: „Textatelier et“. Es gibt, wie oben erwähnt, verschiedene Textateliers, und es ist schon möglich, dass jemand von sich aus auf diesen sympathischen Namen kommt, der einen Anklang an eine künstlerische Werkstatt hat, in der fleissig geschrieben wird. Ich hatte keinen Anlass, dies Frau Thiel zu verübeln.
Doch hat es mich aber schon erstaunt, dass Frau Thiel die Einstiegssätze von 7 unserer insgesamt 39 Textatelier-Angeboten (unter „Ghostwriter für alles“) wortwörtlich übernommen hat:
Briefe Sie benötigen einen Brieftext für höchste Ansprüche. Inserate Sie benötigen einen kurzen, einprägsamen und Erfolg versprechenden Text für Ihr Inserat. Presseartikel Sie benötigen einen nach allen Regeln der journalistischen Kunst geschriebenen Presseartikel nach Ihren Vorgaben und Unterlagen. Public Relations Sie benötigen Texte, die Ihr Unternehmen und/oder Ihre Produkte kennzeichnen und mit dem Stempel der Sympathie markieren. Redaktion Sie benötigen möglichst schnell einen druckbereiten Text aufgrund rudimentärer Vorlagen. Textüberarbeitungen Sie wünschen einfühlsam durchgeführte Polituren an einem Text, den Sie ausgearbeitet haben. Werbetexte Sie benötigen eine Vertrauen weckende Beschreibung für Ihr Produkt oder Angebot, die informiert wirbt. |
Man löst solche Sachen im Word mit Ctrl C (kopieren) und Ctrl V /einfügen. Sogar ein überflüssiger Punkt, der damals noch hinter unserem Text „ Redaktion“ stand, wurde übernommen, ein Plagiat in Reinkultur also.
Am 19. September 2004 habe ich der Plagiatorin in einem Brief u.a. geschrieben: „Selbstverständlich ist dies eine eindeutige Verletzung des urheberrechtlichen Schutzes, der für Sie nicht ohne Konsequenzen bleiben kann.“ Ich stellte ihr die Kosten für den bisherigen Gebrauch der Texte auf der Homepage www.textatelier-et.de in Rechnung und schlug ihr vor, ihr meine Sätze gegen ein kleines Entgelt zu überlassen. Ich würde für mein Unternehmen dann zu unseren Ansätzen neue Einleitungen schreiben. Denn ich wollte nicht die gleichen Sätze wie Eva Thiel verbreiten, ansonsten bei Internetnutzern, die beide Texte nebeneinander sehen, nicht ersichtlich wird, wer nun der Abschriftsteller ist. Beide können in solchen Fällen in den Verdacht der Abschriftstellerei geraten. Wer im erlaubten Rahmen abschreibt, muss wenigstens die Quelle sauber angeben.
Frau Thiel kennt sich in juristischen Belangen offensichtlich genau aus, bestand doch ihre eigene TextAtelier et-Einstiegsseite im Wesentlichen aus juristischen Warnungen an die Adresse an allfällige Plagiare. . . Ausgerechnet. Sie schrieb:
„© 2004 Alle Rechte vorbehalten. Text, Bilder und Grafiken sowie deren Anordnung auf „TextAtelier et“ Internetseiten, unterliegen dem Schutz des Urheberrechts und anderer Schutzgesetze. Der Inhalt dieser Internetseiten darf nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung durch TextAtelier et kopiert, verbreitet, verändert oder Dritten zugänglich gemacht werden.“
Ich nahm in meinen Brief dazu wie folgt Stellung: „Ihr Internetauftritt besteht im Wesentlichen aus Copyright-Hinweisen. Diese gelten allerdings, wie Sie beizufügen vergessen haben, nur für andere, nicht aber für Sie selber. Sie langten beim Textatelier Hess von Biberstein unbeherzt zu, liessen sich von hier nicht nur bei der Namensuche inspirieren, sondern kopierten aus unserem Textangebot prägnante Sätze, obschon auch unsere Texte mit dem © versehen sind.“
Frau Thiel kaschierte ihre Aneignung geistigen Eigentums innerhalb ihres Webauftritts durch die Übernahme grosser Disclaimer-Sprüche (Verzichterklärung):
„3. Urheber- und Kennzeichenrecht
Der Autor ist bestrebt, in allen Publikationen die Urheberrechte der verwendeten Grafiken, Tondokumente, Videosequenzen und Texte zu beachten, von ihm selbst erstellte Grafiken, Tondokumente, Videosequenzen und Texte zu nutzen oder auf lizenzfreie Grafiken, Tondokumente, Videosequenzen und Texte zurückzugreifen.
Alle innerhalb des Internetangebotes genannten und ggf. durch Dritte geschützten Marken- und Warenzeichen unterliegen uneingeschränkt den Bestimmungen des jeweils gültigen Kennzeichenrechts und den Besitzrechten der jeweiligen eingetragenen Eigentümer. Allein aufgrund der bloßen Nennung ist nicht der Schluß zu ziehen, dass Markenzeichen nicht durch Rechte Dritter geschützt sind!
Das Copyright für veröffentlichte, vom Autor selbst erstellte Objekte bleibt allein beim Autor der Seiten. Eine Vervielfältigung oder Verwendung solcher Grafiken, Tondokumente, Videosequenzen und Texte in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist ohne ausdrückliche Zustimmung des Autors nicht gestattet.“
Weil Frau Thiel sich in rechtlichen Belangen also bestens auskennt, wie man sieht, ist die Übernahme fremder Texte umso gravierender.
Die Antwort der Rechtsanwältin
Gut ein Monat nach Abgang meines Briefes traf ein zweiseitiger Brief von der Rechtsanwältin Diana M. Schulten in D-60594 Frankfurt am Main ein, die von Eva Thiel beauftragt und bevollmächtigt war. Zuerst einmal wurde mir mitgeteilt, „dass unsere Mandantin den Ihrerseits beanstandeten Inhalt der Webseite www.textatelier-et.de nicht selbst erstellt hat. Sie ging daher gutgläubig davon aus, dass die verwendeten Texte frei von Rechten Dritter seien. Über Ihre Vorwürfe war sie selbst überrascht und hat die umstrittenen Passagen sofort vom Netz genommen.“
Soweit das Zitat. Tatsächlich: Sogar die ganze Webseite ist seither verschwunden. Mich hat nur etwas erstaunt, dass eine Texterin ihre Texte nicht selber schreibt; aber das ist ihre Sache. Andernfalls hätte sie deren Herkunft wenigstens überprüfen müssen. Schulten: „Wir haben unsere Mandantin natürlich darüber aufgeklärt, dass sie ungeachtet dessen gegenüber Dritten für den Inhalt ihres Internetauftritts verantwortlich ist.“
Das sollte sie auch ohne juristischen Beistand wissen. Doch dann holte Frau Schulten zu einer Belehrung an meine Adresse aus: „Nach Prüfung des Sachverhaltes können wir jedoch den von Ihnen behaupteten Verstoss gegen das Urheberrechtsgesetz nicht bejahen. Denn die Identität der Texte allein begründet einen solchen Verstoss nicht, da es sich bei den vorliegenden Texten nicht um urheberrechtlich geschützte Werke i. S. d. §2 Abs. 1 UrhG (bzw. Artikel 1 schweizerisches Urheberrechtsgesetz) handelt.“
Soweit die Juristin aus Frankfurt a. M.
Der Artikel 1 des Schweizer URG lautet: „ Dieses Gesetz regelt:
a. den Schutz der Urheber und Urheberinnen von Werken der Literatur und Kunst;
b. den Schutz der ausübenden Künstler und Künstlerinnen, der Hersteller und Herstellerinnen von Ton- und Tonbildträgern sowie der Sendeunternehmen;
c. die Bundesaufsicht über die Verwertungsgesellschaften.“
Laut Artikel 2 („Werkbegriff“) heisst es in Absatz 4: „Ebenfalls geschützt sind Entwürfe, Titel und Teile von Werken, sofern es sich um geistige Schöpfungen mit individuellem Charakter handelt.“
Da dies auf die erwähnten Passagen zweifellos zutrifft, begann Schulten, eine „gewisse Schöpfungshöhe“ einzufordern und schrieb dazu: „Die hier relevanten Texte mögen zwar prägnant formuliert sein, stellen aber kaum eine solche herausragende und eigenständige Geistesleistung dar, als dass diese für sich genommen als urheberrechtlich geschütztes Werk im Sinne des UrhG anzusehen wären. Es handelt sich letztlich um Allerweltsformulierungen, die bei objektiver Betrachtung keine besondere künstlerische oder wissenschaftliche Qualität haben.“
Da frage ich mich schon, weshalb solche Allerweltsformulierungen denn gestohlen werden. Weshalb stiehlt man nicht Besseres, wenn schon? Doch inzwischen sei die Wiederholungsgefahr „ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht oder Präjudiz“ gebannt, dass Thiel weitere Texte von der Webseite www.textatelier.com „ohne vorherige Genehmigung der Autoren“ nutze oder nutzen lasse. Wenigstens diese vorbeugenden Worte des Trosts durfte ich empfangen.
Nehmen wir dazu das Beispiel eines Ladendiebstahls: Der Dieb schleppt Waren ohne Bezahlung ab, wird ertappt und versichert, er werde in diesem Laden nichts mehr stehlen. Kann man sich so elegant über einen Diebstahl hinwegsetzen? Das würde ganz neue Dimensionen eröffnen.
Die verbotenen Formulierungen
In meinem Schreiben an Eva Thiel hatte ich erwähnt, falls keine Vereinbarung zustande kommen sollte, würde ich den Fall im Internet darstellen. Ich sah mich deshalb dazu veranlasst, um die Internetnutzer, die – zum Beispiel mit Suchmaschinen – auf 2 verschiedenen Webseiten den gleichen Text finden, über die Hintergründe aufzuklären, auch darüber, dass die beiden Unternehmen fast gleichen Namens nichts miteinander zu tun haben.
Die Rechtsanwältin Schulten warnte mich in ihrem Brief davor in Fettdruck: „Wir fordern Sie daher namens und in Vollmacht unserer Mandantin auf, derartige Veröffentlichungen im Internet insbesondere unter Verwendung der vorgenannten Formulierungen zu unterlassen.“ Bei den verbotenen Ausdrücken handelt es sich um „räuberischen Diebstahl“, „geistigen Diebstahl“ und „Kleptomanin“. Diese Ausdrücke hatte ich in meinem Brief gebraucht.
Ich bin es eben gewohnt, die Sache beim Namen zu nennen. Und ich werde es weiterhin so halten.
*
PS. In der Schweiz ist die Revision des Bundesgesetzes über das Urheberrecht (URG) und verwandte Schutzrechte zurzeit im Gange; das Vernehmlassungsverfahren wurde am 31. Januar 2005 beendet. Das URG betrifft Schweizer Unternehmer als Inhaber von Rechten, ebenso Produzenten und Nutzer. Insbesondere bezweckt diese Revision einen besseren Schutz von Werken im Internet und eine Anpassung an internationale Entwicklungen, vor allem ans „Internet-Abkommen“ der Weltorganisation für Geistiges Eigentum (WIPO).