Der Mususkuss Ich schritt dahin Quelle: „33 x Liebe“, Gedichte von Lislott Pfaff, Summervogel-Verlag, CH-4410 Liestal, ISBN 3-9522751-0-7 |
Begrenzte Möglichkeiten der Mundartlyrik?
Eine kritische Bestandesaufnahme von LISLOTT PFAFF aus CH-4410 Liestal
Die poetischen Möglichkeiten der Mundart seien begrenzt, meinten die Herausgeber der neuen Anthologie "Die schönsten Gedichte der Schweiz", Peter von Matt und Dirk Vaihinger, in einer "Nachbemerkung" zu diesem Buch, in dem auch 22 schweizerdeutsche Mundarttexte vorgestellt werden.
Mit Recht hat sich die Berner Schriftstellerin Barbara Traber, die beileibe nicht nur Dialekt schreibt, über diese simplifizierende Behauptung geärgert und deshalb den beiden Herausgebern in einem engagierten Brief ihre fundierten Gegenargumente dargelegt. Sie erwähnte darin die Sprachexperimente und Sprachspielereien von Eugen Gomringer, Kurt Marti und Ernst Eggimann, die politischen Lieder von Ernst Born und so weiter, um zu illustrieren, dass die formale und inhaltliche Vielfalt der Dialektlyrik längst sämtliche Grenzen sprenge.
Diese literarische Fehde fand ihren Niederschlag im Mundart-Forum des Vereins Schweizerdeutsch vom Dezember 2002, in welchem die Redaktion neben dem Brief von Barbara Traber auch ein "Sonett an die Schweizer Mundartdichter, die mich als Feind der Mundartliteratur verschreien", verfasst von Peter von Matt, veröffentlichte:
Uf fifzä Värslibrinzler chund ei Dichter,
Dä hed si stille, schaffd a fiine Sache
Und freit si dra und will kei Wäsig mache
We disi andere vierzä suire Gsichter.
Die lärmid ume, tind we Oberrichter.
Wenn eine si nid riämd, de fands aa krache,
Blagierid luit und lang mit ihrne schwache
Gedichtili, die lyrische Chingilizichter.
Da hend er eppis z chätsche! Gänd nur zrugg!
Lügid, verlimdid, fand nur wider aa!
Ier machid doch kei Elefant usere Mugg.
Wer eppis wärt isch, bruichd kei Grossi z haa.
Dä schaffed sträng fir siich und laad nid lugg,
Und pletzlich, luitlos, isch es Kunstwärch da!
Sonett in der Baselbieter Mundart
In seinem Begleitschreiben erwähnte der Germanist, Literaturkritiker und Buchautor Peter von Matt (von Radio und Fernsehen her bestens bekannt), dass er mit diesem Sonett auf "alles mögliche Böse, die er von Seiten der Mundartdichter über sich gehört" habe, auf unsachliche Weise antworten möchte. Dies rief von meiner Seite eine ebenso unsachliche Entgegnung hervor in Form eines "Sonetts in der Baselbieter Mundart", das in der Folge im März 2003 im zuvor erwähnten Organ des Vereins Schweizerdeutsch abgedruckt wurde:
S Wort "Värslibrünzler" z bruuche, dunkt mii mys,Man muss ja schliesslich beweisen, dass man's auch kann, nicht wahr? Zu dieser Replik schrieb ich dem Redaktor Thomas Marti, dass ich damit auf der "originellen Ebene" (wie Marti diese Form der Konfliktbewältigung bezeichnete) des Disputs bleiben wolle. Ich habe die Mundart in meinem Fall den Baselbieter Dialekt beim Verfassen von Texten in der Schriftsprache immer als bereichernd empfunden. Aber leider ist es offenbar sehr schwierig, die Literaturwissenschaftler davon zu überzeugen, dass die Lyrik unserer Mund-Arten (im besten Sinne des Wortes) längst von ihrem folkloristischen Touch befreit ist.
und d Dichterwält mit Note z diirygiere.
Mit "Chüngelizüchter" d Lyrik z arrangschiere,
uf andere ummeztrampe, isch doch fys.
Statt luut am Radio schwätzt dr Dichter lys,
het kei Profässer, zum en z proteschiere.
Sy Name chaa nit mit eme "von" brilliere
bi so eim längt's au nit zum Hebel-Prys.
E sone Dichter het kei PR-Drummle,
me gseht en nit bi de berüehmte Gsichter.
Er darf nit inere Jury ummefummle...
Erscht wenn er tot isch, wird sy Kunscht zum Richter:
Im Grab, do chaa kei Fäderfuxer schummle,
im Grab wird mängen erscht zum grosse Dichter.
Auch in der afrikanischen Literatur empfinden Schriftsteller, "die sich in ihrer Lokalsprache äussern, dies wie eine Befreiung, da sie dann eine viel direktere Atmosphäre einfangen können und viel umfangreichere, treffendere sprachliche Mittel haben" (Walter Hess in einer Mitteilung an mich vom 15.4.03). Wie bei uns fehlt auch in Afrika den einheimischen Sprachen der Markt, was wohl weltweit ein Handikap für solche Literatur darstellt.
Mundart ohne "genus grande"?
Aus einem Aufsatz von Jürg Bleiker im Mundart-Forum vom März 2003 geht hervor, dass Peter von Matt sich an einer Germanistentagung im Jahr 2002 noch über zwei "grundsätzlichere Begrenzungen" der Mundart geäussert hatte: Erstens kenne die Mundart kein "genus grande", also keinen erhabenen, pathetischen Stil, der Emotionen weckt. (Jürg Bleiker bezeichnet es als den gewaltigen Orgelton, welcher der Schriftsprache als Register zur Verfügung steht.)
Dazu möchte ich anmerken, dass man entweder blind oder voreingenommen sein muss, wenn man zum Beispiel dem alemannischen Hebel-Gedicht "Die Vergänglichkeit" die grossartige rhetorische Gestik des "genus grande" abspricht. In diesem unvergänglichen Text über die Vergänglichkeit entwirft Hebel in einem Dialog zwischen Vater und Sohn ein zeitloses apokalyptisches Gemälde, das jeden Vergleich mit der grossen schriftsprachlichen Literatur aushält. Die visionäre Erhabenheit dieses Gedichtes wurde mir erstmals nach der Sandoz-Brandkatastrophe vom 1.11.1986 so richtig bewusst, besonders beim Lesen der eindrücklichen Zeilen
Isch Basel nit e schöni tolli Stadt?(Rechtschreibung nach Allemannische Gedichte von J.P. Hebel, 7. Auflage, Sauerländer 1923.)
S sin Hüser drinn, s isch mengi Chilche nit so gross (...)
Drob röthet si der Himmel, und es dundered überal...…(...)
Der Bode schwankt (…), d Glocke schlagen a...(...)
Der Himmel stoht im Blitz und d Welt im Glast (...)
Und endlich zündet s a und brennt und brennt...
Da kann einen der gleiche Schauer anwehen, der von den schweren Klängen des "genus grande" herüberkommt (Jürg Bleiker im Mundart-Forum). Und gerade heute, kurze Zeit, nachdem es im Irak "überal dundered, der Bode gschwankt het und der Himmel im Blitz und d Welt im Glast gstanden isch", haben diese Zeilen wieder eine erschreckende Gültigkeit (Frühjahr 2003).
Johann Peter Hebel ist ja nicht der einzige Mundartdichter, der solche schweren Klänge hervorgebracht hat. Es ist also nicht einzusehen, weshalb gerade der Dialektliteratur das "genus grande" abgehen sollte. Ich würde sogar sagen, dass die Mundart dank ihrer Direktheit und Bildhaftigkeit geradezu für erhabene Emotionen prädestiniert ist.
Um seine Behauptung zu untermauern, zitierte von Matt an der erwähnten Tagung als Beispiel für das "genus grande" in der Schriftsprache die letzte Strophe aus Gottfried Kellers "Abendlied":
Doch noch wandl’ ich auf dem Abendfeld,In freier Übertragung, so fand ich, lässt sich auch dies in ein mundartlich formuliertes Bild umsetzen. Ich habe es versucht und bin zu folgendem Resultat gekommen:
Nur dem sinkenden Gestirn gesellt:
Trinkt, o Augen, was die Wimper hält,
Von dem goldnen Überfluss der Welt.
Wenn my Wanderstab verlore chlopft,Sicher wären überzeugendere Mundart-Versionen dieser weltberühmten Gedichtstrophe von Gottfried Keller möglich, aber unmöglich ist eine solche Umsetzung bestimmt nicht.
zahl i ellei dr Obesunne ihre Sold:
Trinket, Auge, vo däm flüssige Gold,
wo gross wie d Wält dur myni Wimpere tropft.
Das "Manko" der Dialektdichtung
Als zweite Begrenzung der Mundart nannte Peter von Matt "das Fehlen vorgeprägter Formulierungen und geflügelter Worte". Für dieses Manko, würde ich sagen, kann die Dialektdichtung nur dankbar sein. Es ist wahrhaftig nicht gerade ein Qualitätsmerkmal von hochstehender Literatur, wenn sie mit Gemeinplätzen wie "Jenseits von Gut und Böse" usw. angereichert ist. Im Gegenteil: Ernstzunehmende Literatur sollte originell sein, die Texte sollten aussergewöhnliche Bilder, unerwartete Wendungen oder Sätze enthalten. Und gerade diese Vorzüge kann die Mundart bieten, wie unter anderem die leider vergriffene Anthologie "gredt u gschribe" (Sauerländer 1987) zeigt, die eine grosse Vielfalt von Mundarttexten in Lyrik und Prosa vereint.
In einer Epoche wie der unseren, wo von den Amerikanern ein globales PR-Büro (Office of Global Communications) gegründet wird, um ihre Marketing-Strategie in Sachen Krieg (aus "Die Welt", 2.3.2003) skrupellos zu betreiben, in einer solchen Epoche ist es besonders für kleine Länder wichtig, nicht nur ihre politische, sondern auch ihre sprachliche Eigenständigkeit zu betonen. Sonst ersticken wir schliesslich im schludrigen Einheitsbrei des angloamerikanischen Slangs, der sich immer mehr über die ganze Welt ergiesst.
Dieser Slang besteht hauptsächlich aus politischer, technokratischer und nicht zuletzt kommerzieller Propaganda. Unsere vielfarbigen Dialekte könnten wenn auch nur in einem sehr beschränkten geografischen Rahmen einen gewissen Widerstand gegen diese psycholinguistische Werbeflut aufbauen. Irgendwo muss man ja damit anfangen, und in diesem Fall habe ich ausnahmsweise nichts gegen einen angloamerikanischen Slogan: "Small is beautiful". In Bezug auf unsere Dialekte würde ich sagen: Klein, aber fein. Und was klein und fein ist, braucht Pflege. Die Begrenztheit überwindet sich dann von selbst.
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Warum Dialektgedichte?Weil die Mundart unsere Muttersprache ist und weil ein Dichter nicht in erster Linie Schrift-Steller ist, sondern Sprecher oder sogar Hörer. Er spricht das nach, was er mit seinem inneren Ohr hört, und das ist logischerweise seine Muttersprache, eben die Mund-Art. Und wenn ihm sein inneres Ohr den Wort- und Satzrhythmus schon fixfertig liefert, weshalb sollte er dann etwas Anderes, etwas Fremdes daraus machen?
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