Deutschsprachiger Ghostwriter
"Den Textatelier-Rundbrief Nr. 4 finde ich wiederum sehr informativ und ausgezeichnet (...). Auch für das Wort Ghostwriter könnte man eine deutsche Bezeichnung suchen. Dies wird schwierig sein, weil sich das Wort etabliert hat und es jedermann versteht", schrieb uns Heinz Scholz aus D-79650 Schopfheim [1]. Er fügte noch bei: "In den meisten Publikationen benutzen die Autoren Fremdwörter. Entweder wollen die Autoren damit kundtun, wie hochgebildet sie sind oder machen sich nicht die Mühe, ein deutsches Wort zu finden. Und ob die Leser die Anglizismen verstehen, steht auf einem anderen Blatt." Und wenige Stunden später reagierte Rita Lorenzetti, CH-8005 Zürich, auf unsere Umbenennung des "Newsletters" in "Rundbrief" ähnlich: "Wann findest Du einen neuen Begriff für Ghostwriter??".
Die Anregungen sind berechtigt, begründet: Da haben wir bereits viel Anglizismen-Schrott unter der Löschtaste begraben, aber der Ghostwriter hält sich hartnäckig. Diesbezüglich scheiden sich unsere Geister also nicht. Tatsächlich hatte ich schon von Anfang an nach einem deutschen Ausdruck gefahndet und den englischen Ausdruck wörtlich übersetzt: Geisterschreiber. Aber das geht nun mit dem besten Willen nicht, und ich habe den Geist bald einmal aufgegeben...
Wahrscheinlich besteht das Problem darin, dass man das englische Wort nicht mit Geistschreiber, sondern eben mit Geisterschreiber übersetzt; dies tut jedenfalls auch des neue "Deutsche Universalwörterbuch" von Duden. Die Übersetzung wird mit dieser Erläuterung garniert: "Autor, der für eine andere Person, meist eine bekannte Persönlichkeit, schreibt und nicht als Verfasser genannt wird." Selbstverständlich wäre auch die erwähnte Übersetzung im Singular möglich und korrekt: Geistschreiber. Aber beide Formen haben ihre Tücken:
Geisterschreiber erinnert an Geister im Sinne von Gespenstern. Solch ein fliegendes, schmunzelndes Gespenst mit Federhalter und Feder, von der Tinte verspritzt wird, hat Sonja Burger dynamisch für unsere Textatelier-Einstiegsseite im Internet geschaffen (man beachte, dass ich das Wort Homepage elegant vermieden habe). Bei dieser Art von Geistern dominiert das Spukhafte, was zwar ein lustiger und keineswegs unangenehmer Nebeneffekt ist, die Sache am Rande sehr wohl, aber doch nicht exakt genug trifft.
Geistschreiber wiederum hat allein einen Bezug zum denkenden Bewusstsein, zur Verstandeskraft, die ja beim Schreiben immer vertreten sein sollten, ob man es für sich selber oder andere tut. Das Wort sagt fast nichts aus.
Zwar hat das englische Ghost genau wie das deutsche Geist eine Doppelbedeutung: Geist (im Sinn von Gehirn-Inhalt) und Gespenst, aber weil man die englische Form im Zusammenhang mit dem Ausdruck Ghostwriter im der Einzahlform stehen lassen kann, bleibt die doppelte Bedeutung ohne weiteres erhalten, und damit ist es gegenüber den beiden möglichen deutschen Übersetzungen eindeutig im Vorteil. Die letzteren gibt es im Prinzip gar nicht, ebenso existiert kein deutsches Wort für Wortkünstler, die für andere formulieren: Das "Oxford-Duden Grosswörterbuch Englisch" übersetzt "Ghostwriter"schlicht und richtig mit "Ghostwriter" in die deutsche Sprache.
Zwar ist das Ghostwriting keine US-amerikanische Erfindung. Wie in unserem erläuternden Text "Ghostwriter: Schreiber im Schatten" ausgeführt, gab es Schreiber in allen Kulturen, schon im Alten Ägypten. Aber in den USA ist das Ghostwriting wesentlich verbreiteter als bei uns; die Schreiber sind angesehen und sehr gut bezahlt. Deshalb ist auch der englische Ausdruck besser eingeführt. Sogar berühmte Bestseller-Autoren wie der Kriminalroman-Spezialist Tom Clancy ("Die Jagd auf Roter Oktober", "Das Echo aller Furcht" [2], von Phil A. Robinson unter dem Titel "Der Anschlag" verfilmt) lassen schreiben, um die übergrosse Nachfrage befriedigen zu können; einer von Clancys "Ko-Autoren"ist der Psychiater Steve Pieczenik. Clancy liefert seinen Wortschmieden bloss den Handlungsverlauf und liest hinterher das Manuskript, bringt allenfalls noch Änderungen an und setzt seinen Namen dazu, der dann Millionenverkäufe garantiert. Darin liegt die Erklärung für die unwahrscheinliche, ja übermenschliche Produktion, die einige Erfolgsautoren an den Tag legen.
Dies geht manchmal so weit, dass Autoren über den eigenen Tod hinaus schriftstellerisch tätig sind. Das ist zum Beispiel beim Bestsellerautor Robert Ludlum der Fall, der im Frühjahr 2001 gestorben ist. Sein Verleger (Matthew Shear von St. Martin's Press) lässt seit unter Ludlums Namen weiterschreiben, und die Leser sind begeistert, dass immer weitere Werke wie "Paris Option" zum Vorschein kommen. Schon zu Lebzeiten hatte Ludlum für sich schreiben lassen; so ist "sein" Werk "Hades-Faktor" in Tat und Wahrheit jenes von Gayle Lynds.
Die Weiterführung der englischen Ausdrücke Ghostwriting (und Ghostwriter) drängt sich fürs Textatelier auch deshalb geradezu auf, weil wir häufig von Suchmaschinen gefunden werden (in England findet man uns unter "Ghostwriting in German language"), weil Internetnutzer in der Regel nach diesen suchen. Wir würden die Trefferquote also drastisch reduzieren, würden wir diese etablierten Ausdrücke vermeiden. Damit kann das Denglisch (diesmal im Sinne eines englischen Wortes, das in die deutsche Sprache Einlass fand) einen weiteren Punkt für sich buchen. Manchmal gibt es kein Entrinnen. Wir gratulieren und kapitulieren.
In all sincerity and sincerely
Walter Hess, text workshop
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[1] Ein Anglizismen-Beispiel aus dem Scholz-Brief: "Als kürzlich unser 2 ¼ Jahre alter Enkel Manuele einen Katalog durchsah, zeigte er auf einen Jungen mit einem Skateboard. 'Das ist ein Skateboard', bemerkte meine Frau. Der Kleine wusste es besser und sagte: 'Das ist ein Rollbrett'. Schliesslich hat er diesen Begriff von seinem Opa bekommen, ebenfalls die Bezeichnung Rollschuhe. Heute kennt er beide Begriffe, denn sein leistungsfähiger 'Computer', sprich Gehirn, speichert blitzschnell alles auf , und das Gespeicherte ist jederzeit abrufbar. Er wächst übrigens zweisprachig auf (sein Vater ist Italiener). Im Katalog für Kinderspielzeug sind unglaublich viele Anglizismen wie beispielsweise Barbie Plüsch Pose-me Pets, Fashon Polly Hip & Schick Laufsteg, Springseil Swirly, Gowi Giant Truck, Sprungball Super Rainbow, New Sports Sicherheitsdartspiel, Step-Fun, Super Soaker XP-Backfire (eine Wasserpistole), Trac-Liner Serri Soft, mit ABEC 5 Kugellager, Bold-Buddys-Rollen (Rollschuhe).
[2] Im Krimi "Das Echo aller Furcht"“ geht es um die Frage, ob Terroristen auf amerikanischen Boden eine Massenvernichtungswaffe zum Einsatz bringen könnten, die mit Ja beantwortet wird.
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