Textatelier
BLOG vom: 16.04.2018

Wie gefährlich ist Zucker wirklich?

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D


Wir leben in einer überzuckerten Welt. Die aus dem Zuckerrohr oder der Zuckerrübe gewonnene Süssigkeit (Saccharose), aber auch andere Zuckerarten wie Frucht- und Traubenzucker, ist in so vielen Nahrungsmitteln versteckt, dass man kaum zuckerfreie Produkte bekommt. Man muss schon einen detektivischen Spürsinn entwickeln oder viel Zeit zum Suchen verbringen, um Produkte mit wenig oder ohne Zucker zu finden. Bei meinen Einkäufen muss ich auch gute Augen haben, um die oft winzige Schrift der Zutaten zu identifizieren. Manche Supermärkte haben an ihren Einkaufswägen Lupen. Das sind jedoch Ausnahmen.

Auf versteckte Zuckerbomben achten!
Wie Netdoktor (www.netdoktor.de) hinweist, sollen wir auf getarnte Zuckerbomben achten. Versteckter Zucker ist beispielsweise in Wurstwaren, Fertigsossen, Fertigsuppen, Fertigsalatsossen, Marinaden, Gewürzmischungen, Ketchup, Fruchtsaftgetränken, Gemüsesäften, Schokoriegeln, Cola-Getränken, Senf, Essiggurken, eingelegtem Gemüse, Schokoladen, Malzbier, Fruchtjoghurts, Energy-Drinks, Molkegetränken mit Fruchtgeschmack, Gummibärchen, Fischkonserven, Instant-Tees, Instant-Kakaomischungen und Instant-Kaffeemischungen zu finden.

Betrachten wir einmal Ketchup von Heinz. Hier sind die Zutaten als Text aufgeführt. Dann folgt die Pflichtangabe in Form einer Nährwerttabelle pro 100 g Ketchup:

Energie: 102 kcal (435 kJ),
Fett: 0,1 g,
Kohlenhydrate: 23,2 g, davon Zucker: 22,8 g
Eiweiss:  1,2 g,
Salz: 1,8 g

Spitzenreiter sind Gummibärchen mit über 50 % Zucker! Und der bekannteste Nuss-Kakao-Brotaufstrich (Nutella) enthält 56 % Zucker. Sogar manche Bio-Produkte sind zuckerreich.

Kinder sind Opfer der süssen Verführung
Schon in meinem Buch „Richtig gut Einkaufen“ (Verlag Textatelier.com) wies ich darauf hin, dass die Hersteller von Süssigkeiten die Kinder ins Visier genommen haben. Sie locken mit Comics, Stickern, Sammelfiguren und einer auffälligen und aufwändigen Verpackung. Auch Joghurts und Puddingsorten für Kinder sind mit Schoko-Minis und anderen zuckerhaltigen Zutaten versehen. Es ist unglaublich, aber wahr: in einigen Schokoladen, Brotaufstrichen und Riegeln für Kinder sind über 50 % Zucker.

Fazit: Jede noch so verführerische Werbung muss man kritisch unter die Lupe nehmen und bei Kinderlebensmitteln die Zutatenliste studieren. Jedes Kind sollte eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung (viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukte, Tees, gutes Leitungs- oder Mineralwasser) bekommen. In manchen Kindergärten und Schulen sind zuckerreiche Softdrinks tabu. Die Kinder bekommen in den Pausen Mineralwasser oder Tee. Den Eltern wurde empfohlen, doch ihren Sprösslingen nicht mehr süsses Pausenbrot mitzugeben, sondern Vollkornprodukte und Obst. Dies finde ich super.

Wie schädlich ist Zucker?
Zu viel Zucker richtet im Körper einiges an. Die Vorwürfe sind vielfältig. So wird der Zucker für Fettleibigkeit, Diabetes, Herzinfarkt, Leber- und Nierenschäden und Krebs verantwortlich gemacht. Die Zucker- und Lebensmittelindustrie ist da ganz anderer Ansicht. Die Unternehmer behaupten, dass andere Faktoren wie zu vieles Essen, das Konsumieren von gesättigten Fetten, Tabakrauchen, Alkoholkonsum eine grössere Rolle bei der Krankheitsentstehung spielen.
Betrachten wir einmal die Faktoren, die dem Zucker laut Netdoktor angelastet werden:

Dickmacher Nr. 1: Früher war man der Ansicht, dass ein erhöhter Fettkonsum dick macht. Das stimmt auch weiterhin, da 100 g Fett fast dreimal so viele Kalorien hat wie Zucker. Der wahre Dickmacher Nr. 1 ist jedoch der Zucker. Hohe Insulin- und Blutzuckerwerte signalisieren den Körperzellen: Es ist genug Energie da, lass das Fett im Depot. Der Körper speichert mehr Fett im Körper als er abbaut. Jetzt wissen wir, woher so manche Dickbäuche kommen.

Diabetes: „Mit dem Übergewicht kommen die Folgeerkrankungen – vor allem Typ-2-Diabetes, weil die Zellen immer träger auf Insulin reagieren und die Bauchspeicheldrüse, die es produziert, sich erschöpft.“

Andere Krankheiten: „Mit dem Übergewicht steigt ausserdem das Risiko für verschiedene Krebserkrankungen. Auch die Leber leidet unter hohem Zuckerkonsum und hohen Blutzuckerwerten.“ (zitiert nach Netdoktor).
Die Leber lagert nämlich vermehr Blutzucker ein. Dieser wird dann in Fett umgewandelt. Langfristig bildet sich eine Leberzyrrhose aus.
Hohe Blutzucker -und Insulinwerte schädigen auch die Arterien. Es können Blutgerinnsel und eine Arteriosklerose entstehen.

Als die WHO vor etlichen Jahren eine Empfehlung zu weniger Zuckerkonsum herausgab, jaulte die Nahrungsmittellobby auf und versuchte durch Gegenargumente den Zuckerkonsum anzukurbeln. Sie betonte, die Zunahme von Diabetes werde nicht allein durch Zucker ausgelöst. Die Wissenschaftlerin Simin Liu von der Harvard Universität betonte ausdrücklich, dass es eindeutige Indizien für die Zunahme von Erkrankungen durch Zufuhr von grösseren Mengen raffinierter Kohlenhydrate gebe.

Was können wir tun?
Ein hoher Verzehr von Vollkornprodukten kann das Risiko für Diabetes (Typ 2) deutlich senken. Dies kam bei einer US-Studie heraus. Wissenschaftler beobachteten in einem Zeitraum von 12 Jahren 40 000 Männer (Am.J.Clin.Nutr. 76, 535-540, 2002).

Die Einfachzucker (Traubenzucker, Fruchtzucker) oder Zweifachzucker (Malzzucker, Milchzucker, Rüben- bzw. Rohrzucker) werden rasch im Organismus aufgenommen, gehen schnell ins Blut über und treiben den Blutzuckerspiegel in die Höhe (das Insulin senkt dann den Blutzuckerspiegel).
Ich kann mich noch gut erinnern, wenn wir früher vor wichtigen Prüfungen immer wieder Traubenzucker futterten, um so dem trägen Gehirn einen Energieschub zu liefern. Kein Mensch hat uns damals gesagt, dass die Wirkung nicht lange anhält und wir mit den komplexen Kohlenhydraten (Polysacchariden) einen länger anhaltenden Effekt erreicht hätten. Im Verdauungstrakt wird nämlich die Glukose aus den komplexen Kohlenhydraten langsam aufgespalten und dem Blut zugeführt. Dadurch können Müdigkeit, Konzentrationsschwäche und Leistungsabfall vermieden werden.
Komplexe Kohlenhydrate sind enthalten in Vollkornprodukten (Brot, Müesli, Teigwaren, Reis), Gemüse, Kartoffeln und Obst.

Fazit: Unser Körper braucht also nicht die isolierten Zuckerwaren, da er Glukose ja aus anderen Produkten herstellen kann.

Netdoktor hat noch einen guten Tipp, zumal auch Honig, Ahornsirup oder Agavendicksaft viel Zucker enthalten: Eine langsame Entwöhnung von Zucker. „Wenn Sie die Zuckermengen langsam runterfahren, dann schmeckt süss irgendwann wieder richtig lecker.“
Das praktizieren wir auch so. Schon beim Backen von Kuchen, Plätzchen usw. reduziere ich den Zucker oft unter die Hälfte der angegebenen Menge. Die Backwaren schmecken dann immer noch etwas süss und gut.
Wir verbannten auch die süssen Getränke und konsumieren viel Mineralwasser und ungesüssten Kräutertee. Nach unseren Wanderungen trinken wir oft alkoholfreies Weizenbier. Dieses wird ja auch als isotonisches Getränk bezeichnet.

Forderung nach einer Zuckersteuer
In Großbritannien wurde ab dem 1. April 2018 eine Abgabe für zuckerreiche Softdrinks eingeführt. Haben die Getränke mehr als 5 Gramm Zucker pro 100 Milliliter, müssen die Hersteller 18 Penny pro Liter zahlen. Für mehr als 8 Gramm pro 100 Milliliter sind 24 Penny pro Liter fällig.
Schon vor Einführung der Zuckersteuer reagierten ganz schnell die Getränkehersteller und senkten den Gehalt an Zucker in ihren Drinks. Gleichzeitig mit der Einführung der Steuer wurde eine Bewegungsförderung für Grundschüler eingeführt. Dies dürfte einen weiteren positiven Effekt auf die Gesundheit bedeuten.

Bei uns sind die Politiker nicht so mutig. Sie plädieren für einen freiwilligen Verzicht oder Reduzierung durch die Hersteller. Ich bin überzeugt, da kann man lange warten. Nur Druck von Politikern Verbraucherzentralen und Organisationen (z. B. „Deutsche Diabeteshilfe“, „Deutsche Adipositas Gesellschaft“) bringen Erfolge.
Prof. Andreas Pfeiffer, Ernährungsmediziner und Diabetologe sieht die Einführung einer Zuckersteuer positiv, aber mit Einschränkungen: „Die Steuer müsse jedoch klug gemacht werden, um wirkliche gesundheitliche Effekte zu zeigen und nicht nur die Staatskassen zu füllen.“

Hinweis: In einem weiteren Blog sind die süssen Zucker-Alternativen ein wichtiges Thema.

Internet
www.vzbv.de (Verbraucherzentrale hat versteckte Zucker im Visier)
www.vzhh.de (Die VZ Hamburg analysiert, mit welchen Mitteln die Zuckerlobby kämpft)
www.uni-hamburg.de (Interview mit Dr. Tobias Effertz, Uni Hamburg. Mit Link zur Studie „gesunde Mehrwertsteuer“)

Literatur
Netdoktor: „So gefährlich ist Zucker wirklich!“ (www.netdoktor.de)
Arte: „Die grosse Zuckerlüge“, www.arte.de
Sager-Krauss, Brigitte: „Unheimlich süss“, „Schrot&Korn“ 03/2018.
Scholz, Heinz: „Richtig gut einkaufen“ – Die moderne Lebensmittelkunde für den Alltag, Verlag Textatelier.com, Biberstein 2005.

 


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