Textatelier
BLOG vom: 14.07.2017

Resilienz

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland


Sprachen ändern sich, Wörter verschwinden, weil sie nicht mehr benutzt werden, der Einfluss anderer Sprachen führt zur Übernahme in die Muttersprache, und vieles mehr.

So gibt es Listen und Bücher über fast vergessene oder "bedrohte" Wörter und Wörterbücher, die älter als 5-10 Jahre alt sind, beinhalten neue Wörter noch (gar) nicht.

Besonders, wenn Fachbegriffe plötzlich populär werden und nicht nur in dem bestimmten Fach benutzt werden, ist es Zeit, sich darüber Gedanken zu machen.

Wörter wie resistent, Resistance, Resistenz, resistieren und Resitivität sind aus der Medizin und Biologie, beziehungsweise aus der Politik, bekannt. Re- ist hier eine Vorsilbe kommt aus dem Lateinischen und bedeutet zurück, wieder. Skatspieler kennen das Wörtchen zur Bezeichnung der Gegenansage auf ein Kontra, vermutlich ursprünglich Rekontra.

Das Wort, das mich hier interessiert, ist die Resilienz. Duden-Online definiert das Wort so:
- psychische Widerstandskraft; Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen.

Laut Wikipedia geht der Begriff auf lat. resilire zurück, was 'zurückspringen und abprallen' bedeute. Nach selbst ernannten "Mental Coaches" lässt sich diese Fähigkeit erlernen bzw. trainieren. Dabei wird auch die Eigenverantwortung mit einbezogen. Dabei sind die Mechanismen, die die Fähigkeit im Menschen "erzeugen", noch gar nicht ausführlich erforscht.

An der Universität Mainz ist das "Deutsches Resilienz-Zentrum" etabliert. Dort wird darüber geforscht. Folgende Überlegungen stehen im Vordergrund:

„Möglicherweise gibt es übergeordnete Resilienzmechanismen, deren Stärkung als Ansatzpunkt für Interventionsmaßnahmen genutzt werden kann.“

Hier ist auch das Konzept der Resilienz verortet, das als Dachkonstrukt für verschiedene (neuro-)biologische, psychologische und soziale Ressourcen und Mechanismen verwendet wird, die zum Erhalt der Gesundheit beitragen. Da Resilienz ein multikausaler, dynamischer Prozess ist, bei dem externale und internale Ressourcen in Interaktion mit externalen und internalen Risikofaktoren, der Lebensumwelt (Umweltbedingungen, gesellschaftlicher Kontext) und dem Entwicklungsprozess an sich stehen, kann moderne Resilienzforschung nur interdisziplinär und mittels multikausaler Mehrebenen-Modelle erfolgen.

Transdiagnostischer Ansatz des DRZ In den USA und in Israel ist die Erforschung der Resilienz auf  neurobiologischer und neurokognitiver Ebene schon etabliert, während Europa und vor allem auch Deutschland auf diesem Forschungsgebiet etwas „hinterherhinken“. Diese Lücke will das DRZ in der deutschen Forschungslandschaft schliessen, indem es sich auf die neurowissenschaftliche, psychologische und sozialwissenschaftliche Erforschung der Resilienzmechanismen, die vor stressbedingten Erkrankungen schützen, fokussiert.

Die Forschung des DRZ verfolgt einen transdiagnostischen Ansatz, der Fokus liegt also nicht auf  erkrankungsspezifischen Resilienzmechanismen, etwa Resilienzfaktoren, die vor einer bestimmten Störung (wie z. B. der Posttraumatischen Belastungsstörung oder Depression) schützen. Ziel ist stattdessen die Identifikation dysfunktionsspezifischer Mechanismen, beispielsweise Resilienzmechanismen, die gegen eine erhöhte Wachsamkeit (Hypervigilanz) oder die Unfähigkeit, Freude und Lust zu empfinden (Anhedonie), wirken und somit eine Rolle bei verschiedenen Erkrankungen spielen. Möglicherweise gibt es sogar übergeordnete, allgemeine Resilienzmechanismen, die vor mehr als nur einer Dysfunktion schützen, und deren Stärkung als effektiver Ansatzpunkt für Interventionsmassnahmen genutzt werden kann.
(vgl. Kalisch, Müller& Tüscher 2014).

Erforschung und Förderung der Resilienz auf drei Ebenen:

Somit hat das DRZ drei zentrale Anliegen bei der Erforschung und Förderung der Resilienz:

  1. zugrundeliegende Resilienzmechanismen in Psyche und Gehirn neurowissenschaftlich und humanpsycholo gisch zu verstehen,
  2. darauf aufbauend Erkrankungen vorzubeugen, indem empirisch  untermauerte  präventive  Massnahmen aus den Forschungsergebnissen abgeleitet und Betroffenen in der Resilienz-Ambulanz zugänglich gemacht werden, sowie
  3. darauf hinzuwirken, Lebensumfelder und Strukturen (z. B. Arbeitsstrukturen) so zu verändern, dass Resilienz auch auf diesen Ebenen gestärkt und stressbedingten Erkrankungen vorgebeugt wird.

Dies erfolgt mittels eines translationalen Ansatzes, das heisst, Erkenntnisse aus der präklinischen Forschung werden direkt in die klinische Forschung und Entwicklung umgesetzt." (Hervorhebungen durch den Autor.)

Was an dieser Darstellung interessant ist, dass es explizit nicht darum geht, vor erkrankungsspezifischen Störungen, wie PTBS (posttraumatische Belastungsstörungen) oder Depression zu schützen, sondern die Mechanismen im Gehirn zu erforschen, die zu einer Resilienz ("Bewältigungskompetenz") führen, also:

"eine Entwicklung der psychischen Widerstandsfähigkeit gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken, wie

    "1. die positive, gesunde Entwicklung trotz hohem Risikostatus, z.B. chronische Armut, elterliche Psychopathologie, sehr junge Elternschaft (gemeint sind auch so genannte Multiproblemmilieus),

    2. die beständige Kompetenz unter extremen Stressbedingungen, z.B. elterlicher Trennung und Scheidung, Wiederheirat eines Elternteils,

    3. die positive bzw. schnelle Erholung von traumatischen Erlebnissen wie Tod eines Elternteils, Gewalterfahrungen, Naturkatastrophen oder Kriegs- und Terrorerlebnisse (Bender/ Lösel 1998; Werner 2000).

Es geht aber auch, wie ich in dieser Website (www.kindergartenpaedagogik.de) lese, um
- Erwerb und Erhalt altersangemessener Fähigkeiten und Kompetenzen der normalen kindlichen Entwicklung trotz risikoreicher Lebensumstände.

Forschung aus Wissensdurst mit dem Ziel, psychische Gesundheit zu erreichen, ist das eine, das andere ist das, was in der Politik daraus gemacht wird:
Auf Erwachsene bezogen bedeutet Resilienz Krisenfestigkeit. Und so möchte unsere Bundesregierung in Deutschland das deutsche Volk sehen und da sollte, wie ich meine, der aufgeklärte Bürger aufmerksam werden:

Ich zitiere aus: www.german-foreign-policy.com :

Krisenfeste Bürger
In einem aktuellen "Arbeitspapier" fordert der Persönliche Referent des Präsidenten der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), Oberstleutnant Michael Hanisch, die zügige "Weiterentwicklung des Resilienzausbaus in Deutschland". Integraler Bestandteil des von ihm zu diesem Zweck entwickelten Maßnahmenpakets ist eine "Informationskampagne", die gemeinsam mit "medialen Partnern" und "gesellschaftlichen Multiplikatoren" durchgeführt werden soll: "Die 'Krisenfestigkeit' jedes einzelnen Bürgers, sei es gegenüber Propaganda, Fake News oder Terroranschlägen, bildet ... einen wichtigen Baustein für die angestrebte gesellschaftliche Gesamtresilienz. Hierfür Verständnis - und letztlich die Bereitschaft zur aktiven Mitgestaltung - in der breiten Öffentlichkeit zu erzeugen, wird einiges an Aufklärungs- und auch Überzeugungsarbeit erfordern."[1] 

(Ich frage mich, was negative "Propaganda" ist und was "Fake News" sind, und wer das definiert.)

Gesellschaftliche Selbsthilfe
Um die Voraussetzungen für die besagte Propagandakampagne zu schaffen, will Oberstleutnant Hanisch in mehreren aufeinander abgestimmten Schritten vorgehen. Zunächst soll ein "Rahmenmodell" erarbeitet werden, das die "wesentliche(n) Anforderungen" an den "Resilienzausbau" definiert. Dieses dürfe allerdings nicht nur auf die "Erbringung staatlicher und unternehmerischer Vorsorge- und Bewältigungsmaßnahmen" orientiert sein, sondern müsse ebenso Formen "gesellschaftliche(r) Selbsthilfe" einbeziehen, heißt es. Im Anschluss votiert der Autor für die Einrichtung eines "Bundesbeirats für Resilienzförderung" beim Bundeskanzleramt, der "Vertreter aus allen relevanten staatlichen und gesellschaftlichen Bereichen" umfasst. Das Gremium könne bei der Festlegung helfen, "wessen Resilienz eine höhere Relevanz beziehungsweise eine kritische Größe für die gesamtgesellschaftliche Sicherheit hat", erklärt Hanisch und verweist auf "bestimmte Personen- oder Berufsgruppen" wie Polizisten, Feuerwehrleute und medizinisches Personal sowie auf "sensible Infrastruktur" ("IT-Netzwerke"). In einem dritten Schritt will der BAKS-Mitarbeiter dann nach eigenem Bekunden "konkrete Projekte entwerfen" und etwa in bestimmten Grossstädten "Resilienzpartnerschaften" zwischen Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft etablieren: "Die über derartige Pilotprojekte 'im Kleinen' gewonnenen Erfahrungen zur Vernetzung zwischen den Akteuren und des gemeinsamen, effektiven Handelns im Falle von Störungen ließen sich dann auf andere Regionen übertragen, so dass ein schrittweiser Resilienzaufbau von unten nach oben stattfindet."[2]
Selbstverständliches Miteinander

Bei seinen Überlegungen zur "Resilienzförderung" beruft sich Oberstleutnant Hanisch explizit auf das 2016 vom Bundesverteidigungsministerium vorgelegte "Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr" (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Das militärpolitische Grundlagendokument definiert den "Resilienzaufbau" als "gesamtgesellschaftliche Aufgabe", der eine zentrale Funktion für den Erhalt und die Steigerung der Kriegsführungsfähigkeit Deutschlands zukomme: "Staat, Wirtschaft und Gesellschaft müssen ihre Widerstands- und Resilienzfähigkeit erhöhen, um Deutschlands Handlungsfreiheit zu erhalten und sich robust gegen Gefährdungen zur Wehr zu setzen." Da nach Auffassung der Bundesregierung nicht nur die "materielle Infrastruktur", sondern ebenso die "öffentliche Meinung" ein "Angriffsziel" feindlicher Kombattanten darstellt, wird eine umfassende soziale Formierung gefordert: "(Es) gilt ..., die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Organen, Bürgerinnen und Bürgern sowie privaten Betreibern kritischer Infrastruktur, aber auch den Medien und Netzbetreibern zu intensivieren. Das Miteinander aller in der gemeinsamen Sicherheitsvorsorge muss selbstverständlich sein."[4]

Anmerkungen: [1], [2] Michael Hanisch: Vorwärts, Resilienz! Vorschläge zum Resilienzausbau in Deutschland. Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Arbeitspapier Sicherheitspolitik 16/2017.

[3] Im Artikel Zivile Kriegsvorbereitung, zu finden auf der Website der o.g. Quelle.

[4] Bundesministerium der Verteidigung (Hg.): Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Berlin 2016.

Resilienz wird hier so definiert:
(1) Resilienz durch Resistenz, (2) Resilienz durch Kompensation und (3) Resilienz durch Restrukturieren. Und das natürlich nach dem Wunsch und im Sinne unserer politischen Führung!

Da kommen mir "böse" Parolen aus der nationalsozialistischen Vergangenheit in den Sinn.

"Der deutsche Junge der Zukunft muss schlank und rank sein, flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl." Beim Reichsparteitag 1935 ließ Adolf Hitler keinen Zweifel aufkommen, wie er sich die (männliche) Jugend vorstellte.

Alle, die sich mit der Geschichte dieser Zeit beschäftigt haben, wissen, wofür Hitler solche Jungen benötigte, seine Politik war von Anfang an auf den Krieg eingestellt, angefangen vom Bau der Autobahnen, über die Aufrüstung, bis zur Hitlerjugend und vieles anderes.

Ich habe den Eindruck, dass in den letzten Jahren wieder einmal Feindbilder aufgebaut und durch die Medien vermittelt werden. Ob sie gerechtfertigt sind, ist schwer zu sagen, jedenfalls kommt mir (ich habe bereits darüber geschrieben) die "Meinungsmache" "zielgerichtet" vor, was nicht zuletzt durch die obige Darstellung aus der Regierungsebene, und auch durch erhöhte Rüstungsanstrengungen und -ausgaben bestätigt wird. Vielleicht sehnt sich unsere politische Führung auch zum so genannten "Kalten Krieg" zurück, eine Zeit mit einem klaren Feindbild, die vor allem in Deutschland mit einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung verbunden war, und damit zu sprudelnden Steuereinnahmen.

Während meines Berufslebens bin ich persönlich des Öfteren gefragt worden, ob ich "gedient" hätte. Möglicherweise habe ich den einen oder anderen Job auch deshalb nicht bekommen, weil ich (aus gesundheitlichen Gründen) nie in der Bundeswehr war. In den Augen mancher Arbeitgeber und Personalchefs war ich dadurch weder krisenfest, noch eignete ich mich zum Befehlsempfänger, war also ein unsicherer Kandidat und nicht resilient!

Ich denke, wir werden in Zukunft noch häufiger mit diesem Begriff konfrontiert werden.
Sollten sich diese Forderungen durchsetzen, wird das Auswirkungen auf das gesamte Erziehungswesen haben.

Quellen
http://www.focus.de/wissen/videos/1935-die-missbrauchte-generation-die-hitler-jugend-im-mittelpunkt-stehen-rassenlehre-befehl-und-gehorsam_id_5270146.html
www.german-foreign-policy.com
https://www.drz.uni-mainz.de/files/2014/11/Das_Gehirn_als_Resilienz-Organ.pdf
www.kindergartenpaedagogik.de

 


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