Textatelier
BLOG vom: 28.03.2016

Protest und Frust: Wahlanalyse der “AfD“

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Deutschland

 

Wie schon in meinem Blog vor ein paar Tagen berichtet, hat die Partei „Alternative für Deutschland“ in 3 Landtagswahlen einen für eine neue Partei ungewöhnlich hohen Stimmenanteil erhalten. Ein Teil dieser Stimmen kommt von früheren Wahlmuffeln, um das einmal so leger auszudrücken, also von Menschen, die sich von den bis dahin zur Wahl stehenden Parteien nicht vertreten gefühlt haben.

Sachsen-Anhalt  (24,2%)
Baden-Württemberg (15,1%)
Rheinland-Pfalz (12,6%)

Beim „Handelsblatt Online“ vom 18.03.2016 schreibt Eva Fischer über die Gründe für den Erfolg und eine Wahlanalyse durch Politik-Professoren:

„Der Großteil der AfD-Wähler hat bei den Landtagswahlen ihr Kreuz aus Protest gemacht. Die Linke, klassische Protestpartei, und andere rechte Parteien versagen dagegen.“ Drei Wissenschaftler erklären das Phänomen.

„Der Protest rückt nach rechts. Denn fast jeder zweite AfD-Wähler (47 Prozent) stimmte laut Umfrage des Forschungsinstituts Infratest dimap nicht aus Überzeugung, sondern aus Protest für die Partei. AfD-Wähler wählten den rechten Protest, statt den linken. Die Linke dagegen hat alle ihre Wahlziele verfehlt. Fast 40 Prozent der Arbeitslosen votierten laut der Umfrage allein in Sachsen-Anhalt für die AfD, insgesamt wanderten in dem Bundesland rund 30.000 Wähler von links nach rechts.

Wie weitere Wahlanalysen zeigen, kommen die AfD-Wähler aus sämtlichen politischen Lagern: Ehemalige Unions- sowie ehemalige Linke-Wähler befinden sich unter ihnen, im besonderen Umfang hat die rechtspopulistische Partei aber Nichtwähler mobilisiert. Das macht das Ergebnis so gefährlich für die etablierten Parteien. Sie alle mussten Federn lassen. Der Grünen-Politiker Winfried Kretschmann zeigte sich erschüttert, dass in Baden-Württemberg sogar 70.000 ehemalige Grüne-Wähler bei der AfD ihr Kreuz gesetzt hatten.

Diese Wählerwanderung in den rechtspopulistischen Protest erklärt Politikwissenschaftler Hendrik Träger mit dem Zusammenspiel mehrerer Ursachen. Eine sei die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung: ‚Dort konnte sich die AfD als politische Alternative für diejenigen positionieren, die gegen die Politik von Kanzlerin Angela Merkel sind’, sagt der Politik-Dozent der Unis Leipzig und Magdeburg. Außerdem habe die AfD von einer offenbar tief greifenden Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien profitiert.

‚Beide Punkte fielen aus Sicht der AfD zu einem idealen Zeitpunkt vor den Landtagswahlen zusammen, sodass die Partei solche hohen Stimmenanteile erreichen konnte’, sagt der Parteienforscher. Der Düsseldorfer Politikprofessor Thomas Poguntke nennt noch einen anderen Grund:’Die CDU ist stark in die Mitte gerückt, weswegen es am konservativen Rand Platz gibt.’ Alle im Bundestag vertretenen Parteien unterstützten die Politik der Kanzlerin, mit der Ausnahme der CSU, die allerdings ausserhalb Bayerns nicht zur Wahl steht. Das alles zusammen hat Schub für eine Protestpartei gegeben.’

Dass diese Protesthaltung ausschließlich der AfD zugute kam, liegt laut Populismus-Forscher Marcel Lewandowsky auch an der Ausrichtung der Partei. ‚Die AfD hat im Gegensatz zu anderen Parteien dieses Spektrums nicht nur ein rechtspopulistisches, sondern auch ein konservatives und wirtschaftsliberales Profil’, erklärt der Wissenschaftler, der an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg lehrt.

Diese Wähler fürchten laut Wissenschaftler Poguntke, dass ihnen die Migranten ‚etwas wegnehmen’: ‚Wenn es um soziale Benachteiligungen geht, wird ein Sündenbock gesucht.’ Generell seien die Motive der AfD-Wähler aber sehr unterschiedlich. ‚Bei einem erheblichen Teil hat die Wahlentscheidung wenig mit linker oder rechter Einstellung zu tun, sondern war in erster Linie eine Protestwahl’, sagt Poguntke. Aber es gebe eben auch die Wähler, die tatsächlich rechts eingestellt sind – und jetzt ein Angebot haben.

Dass sich bisher keine Partei rechts der CDU im politischen Parteienspektrum etablieren konnte, hängt auch mit der deutschen Geschichte zusammen. ‚Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben’, proklamierte schon CSU-Übervater Franz Josef Strauss. Poguntke spricht von einer ‚Immunität gegen rechtes Gedankengut’ in der Gesellschaft, die sowohl in Medien, Kultur als auch im politischen System sichtbar ist. Aber mit einem größeren zeitlichen Abstand zum NS-Regime nutze sich diese Immunität ab.

‚Das rechte Spektrum in der Bundesrepublik ist traditionell organisatorisch zersplittert’, sagt Populismus-Forscher Lewandowsky. Es habe bislang keine Partei gegeben, die das rechte Lager jenseits der Union vereint hätte.’Parteien, deren Politikangebot konservativer ist als das von CDU und CSU, geraten schnell in den Verdacht der Nähe zum Rechtsextremismus beziehungsweise Nationalsozialismus und werden in den Medien und in der Politik stigmatisiert.’

Doch die Experten glauben, dass das Kernthema der AfD, die Flüchtlingspolitik, der Partei irgendwann verloren gehen wird. Damit bräche ihr dann auch ein entscheidendes Mobilisierungsinstrument weg. ‚Es wird für die Partei dann entscheidend sein, ob sie in der Lage ist, die Unzufriedenheit mit der Politik weiter zu bedienen und entsprechend zu mobilisieren’, sagt Lewandowsky.

Die AfD habe grosses Wählerpotenzial.’„Sie ist aber aus meiner Sicht noch nicht in dem Sinne etabliert, als sie über eine ausreichende Zahl von Stammwählern verfügt’, so Lewandowsky. ‚Träger und Poguntke glauben, dass die sich bundesweit auf fünf bis zehn Prozent einpendeln wird. Im nächsten Bundestag werden dann sieben Parteien sitzen: Linke, SPD, Grüne, FDP, CDU, CSU und AfD.“ („Die AfD wird sich auf fünf bis zehn Prozent einpendeln“)

Die Wahlanalyse ist interessant. Sie zeigt vor allem, dass die Demokratie in Deutschland funktioniert! Zur Demokratie gehört auch zu zeigen, dass man mit der gegenwärtig praktizierten Politik nicht einverstanden ist. Protestieren kann man auf der Strasse, aber auch im Wahllokal, wenn man sich durch eine Partei verstanden fühlt.

Eine Protestwahl gibt einer bisher unbedeutenden Partei plötzlich die Gelegenheit, ihr Programm in Länderparlamenten zu vertreten, also an der politischen Willensbildung direkt mitzuwirken und die Gesetzgebung so in bestimmtem Mass zu beeinflussen. Diese Partei muss sich also für ihre Wähler bewähren, sie muss sich „würdig“ erweisen, gewählt worden zu sein.

Gleichzeitig bedeutet eine Protestwahl auch den berühmten „Schuss vor den Bug“ bei denjenigen Parteien, die die repräsentative Demokratie in Gesetze und Handlungen momentan politisch umsetzen. Ihnen wird dadurch eröffnet, dass grosse Teile der Bevölkerung nicht mit ihnen überein stimmt. Sie werden sich also Gedanken darüber machen, wie sie Wähler zurück gewinnen können.

Dazu gibt es unterschiedliche Wege. Die Regierungsparteien können den Wählern ihre politischen Entscheidungen erläutern, begründen und offen legen. Sie können die Politik durch eine geänderte Gesetzgebung reformieren. Sie können Kompromisse aufzeigen. Sie können den Wähler durch Wahlgeschenke „ködern“.
Die Parteierfolge der AfD zu verteufeln, gar davon reden, dass die Demokratie in Gefahr sei, ist nicht der richtige Weg, wenn sich sonst nichts ändert. Demokratie lebt von Information und Kommunikation. Protestwahlen kommen deshalb zustande, weil sie nicht funktioniert haben.

Die AfD hat eine Chance gesehen und darauf reagiert. Sie hat die „Pegida“-Proteste als Starthilfe zu ihren Gunsten für ihre Zwecke eingespannt. Bei den Protestlern und denjenigen, die sie stillschweigend wohlwollend beurteilt haben, hat sie ihr Wählerpotential gesehen. Dazu musste die Partei von einer Partei der Wirtschaftsprofessoren zu einer Partei „der kleinen Leute“ umgestaltet werden. Die Skepsis gegen die Politik des Europa-Parlaments und wie dort bei der Banken- und Finanzkrise Entscheidungen getroffen wurden, geriet zwar in den Hintergrund, konnte aber mit der Protesthaltung gegen Angela Merkel, die „als treibende Kraft“ für diese Entwicklung und auch für die Handhabung der Flüchtlingsproblematik verantwortlich gemacht wird, gut kombiniert werden.

Beides wird von der Bevölkerung nicht mehr verstanden und hat vielfältige Ängste ausgelöst, die zu diesen Wahlentscheidungen geführt haben.

Gewählt haben die AfD also solche, die ihren Protest ausdrücken wollten; solche, die sich von linken Parteien nicht genügend vertreten gefühlt haben, solche, die nationalistische Ideen und konservative Vorstellungen haben; gewählt von denen, die Angst vor der Herausforderung haben, vor der Veränderung, die Fremde nach Deutschland bringen und von solchen, die man als die Verlierer im Lebenskampf um Chancen auf dem Arbeitsmarkt sehen kann, und die Verlustängste haben, teilweise mit niedrigem Bildungsgrad. Ob sich ein grosser Anteil dieser Wähler Gedanken darüber gemacht hat, welche Ideen die AfD sonst noch vertritt, was sie in ihr Parteiprogramm geschrieben hat und zur Abstimmung bringen will? Stehen die Wähler der AfD hinter diesen Zielen? (siehe: Was will die „Alternative für Deutschland“ (AfD)? )

Ich kann mir das nur von einem kleinen Teil der Wähler vorstellen! Eine Partei, die von Protestler an der aktuellen Politik gewählt wird, was passiert mit ihr, wenn der Grund des Protestes nach einigen Jahren nur noch zu einem kleinen Teil besteht, wenn es sich herausstellt, dass die Befürchtungen, die zu dieser Entscheidung geführt haben, nicht oder nur im geringen Masse eingetroffen sind und dann, wenn auch diese Protestwahl wenig Auswirkungen auf die Politik der nächsten Jahre hat? Werden sie die AfD bei den kommenden Jahren, sei es für den Bundestag, sei es auf kommunaler Ebene, wieder wählen? Was passiert mit der Partei, wenn die Wähler feststellen, dass die Arbeit, die die gewählten Abgeordneten machen, kaum ins Gewicht fällt?

Die AfD hat ihre Bewährungsprobe noch vor sich. Einige Parteien, die aus Protest gewählt wurden, werden in den Wahlergebnissen inzwischen unter „sonstige Parteien“ geführt, weil sie die 5%-Hürde nicht mehr überwinden oder sie sind ganz untergegangen.

Es ist ein Zeichen funktionierender Demokratie, wenn Protestwahlen möglich sind, wenn neuen Parteien Gelegenheit geboten wird, sich zu bewähren. Ein wenig Gelassenheit ist angebracht!

 


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