Textatelier
BLOG vom: 05.03.2015

Vermutlich raubte mir eine Elektrosteckdose den Schlaf

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
 
Diese Geschichte habe ich schon vor 20 Jahren aufgeschrieben. Ich nahm damals an einem 2-tägigen Seminar zum Thema Meditation teil.
 
Ich übernachtete in einem einfachen Gästehaus. Nach Mitternacht erwachte ich. Ich fühlte Übelkeit. Stickige Luft liess mich kaum atmen. Ich wollte das Fenster öffnen, doch mein Gleichgewicht war gestört. Ich fühlte mich wie auf hoher See. Meine Augen konnten einen eingeschlagenen Nagel an der Wand nicht mehr als ruhenden Punkt wahrnehmen. Geduldig wollte ich warten, bis sich diese Wellen glätten würden. Dann fiel mir ein, dass ich die Zimmertür öffnen sollte, falls ich am Morgen nicht aufstehen könnte. Ich schwankte zur Tür, drehte den Schlüssel, öffnete sie. Etwas später gelang es mir, auch noch das Fenster zu öffnen.
 
Der linke Arm war beängstigend verkrampft und strahlte in die Herzgegend aus. Nur keine Panik aufkommen lassen! Ruhig wollte ich warten, bis der Sturm vorüber sei. Ich versuchte, bewusst zu atmen. Es fiel mir schwer.
 
In einem vorgefundenen Merkblatt dieses Gästehauses war vermerkt, dass die Telefonnummern 20, 30 und 400 benützt werden dürfen, wenn Hilfe nötig sei. Der Apparat befinde sich in der Mitte des Korridors, hiess es. Meine Kräfte reichten aber für diesen Weg nicht aus.
 
Ich fragte mich, was geschehe, wenn ich mich einfach hinlege und alles loslasse. Ob ich dann sterbe? Ich war aber gar nicht bereit dazu. Zudem sah ich mannigfaltige Verwirrung voraus.
 
Am frühen Abend hatte ich noch nach Hause angerufen und erzählt, was mir am Seminar missfalle (es gab abschätzige, diskriminierende Reaktionen jenen Schülerinnen oder Schülern gegenüber, die sich mit den Anleitungen nicht sofort zurecht fanden).
 
Das grosse Ganze aber gefiel mir. Am Telefon erwähnte ich es jedoch noch nicht.
 
Jetzt überlegte ich mir, dass ich ein falsches Bild hinterlassen würde, wenn ich noch in dieser Nacht stürbe. Mein Mann wüsste nicht, dass ich auch wertvolle Erfahrung gemacht habe. Er hätte gewiss einen Groll gegen die Veranstalter und würde ausrufen, sie hätten seine Frau fertiggemacht. (Später bestätigte er meine Vermutung.)
 
Auch aus meinen Notizen wäre man nicht klug geworden. Da waren nur Stichworte aufgeschrieben.
 
Und da war noch ein Buch, über das man sich gewundert hätte. Ich hatte es aus der Hausbibliothek aufs Zimmer mitgenommen und noch eine Weile darin gelesen. Es behandelte das Tätigkeitswort „segnen". Angekommen war ich beim Kapitel „Das Zeitliche segnen". Was sich da alles zusammenfand und ein völlig falsches Bild abgegeben hätte! Ich legte mich wieder ins Bett, diesmal ans Fussende, um einer Elektrosteckdose auszuweichen. Dann packten mich die Rufe des Käuzchens, das sich ganz in der Nähe bemerkbar machte. Weil ich zu diesem Vogel eine ganz besondere Beziehung habe, horchte ich hin, wollte seine Botschaft verstehen. Darüber muss ich eingeschlafen sein.
 
Am Morgen begrüsste ich den neuen Tag, begrüsste das Leben in mir. Ich fühlte mich wieder gesund. Nachdem ich die erlebte Geschichte nochmals überblickt hatte, erschien sie mir wie ein Hirngespinst und war doch wahr. Dann lachte ich. Und dieses Lachen räumte noch die allerletzten Verspannungen aus mir heraus.
 
Und bis heute gebe ich mir Mühe, möglichst keine einseitigen Bewertungen mehr auszusprechen.
 
 
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