Textatelier
BLOG vom: 18.07.2014

Die ewigen Fragen rund um die Ungewissheit der Liebe

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Westdeutschland
 
 
Das Herkunftswörterbuch des Duden-Verlags führt das Wort „Liebe“ auf das mittelhochdeutsche Wort „liebe“ und das althochdeutsche „liubi“ zurück. Es führt aus: „Aus dem germanischen Sprachbereich gehören zu dieser Wurzel ferner die Sippen von ,loben’ und von ‚erlauben’ sowie ‚glauben’.“
 
Walther von der Vogelweide wusste auch, dass die Liebe nicht einfach zu fassen ist.
In seinem Lied „Herzeliebez frouwelin“ dichtete er:
 
„Sie verwîzent mir daz ich
ze nidere wende mînen sanc.
Daz si niht versinnent sich,
waz liebe sî, des haben undanc!
Sie getraf diu liebe nie –
die nâch dem guote und nâch der schoene minnent; wê wie minnent die?“
 
„Die Leute halten es mir vor,
du wärst meinem Gesang ein zu geringes Ziel.
Dass sie einfach nicht begreifen,
was Liebe ist, dafür haben sie kein gutes Wort verdient!
Liebe hat sie nie ergriffen –
die um des Reichtums und der Schönheit willen lieben, o weh, wie lieben die!“
 
Es ist schon ein Kreuz mit der Liebe!
 
Ich habe mir 2 Zitatensammlungen vorgenommen und im Stichwortverzeichnis das Wort aufgesucht. Was dort dazu aufgelistet wird, ist höchstinteressant:
 
Puntsch, Eberhard: „Zitatenhandbuch – Für Wissenschaftler, Journalisten, Politiker, Künstler, Manager, Redner, Erzieher, Korrespondenten“:
 
Liebe,
Liebe, Dauer der
Liebe, Ende der
Liebe, erste
Liebe, Wirkung der
Lieben,
Liebende,
Liebesleid,
Liebesschwur,
Liebesstreit,
Liebesursache,
Liebeswerbung.
 
Wo kommt sie denn her, die Liebe? Der Blick unter dem Stichwort „-ursache“ sollte Aufschluss darüber geben:
 
Seneca weiss es wohl auch nicht, wenn er sagt:
„Si vis amari, ama!“ „Willst du geliebt werden, so liebe!“
 
Johann Wolfgang von Goethe kommt der Sache schon näher: „Die Liebe nennt sich zuerst Vertraulichkeit“ (Die Mitschuldigen II, 4).
 
Nach Shakespeare kommt vor der Liebe der Gehorsam, es ist wohl der der Frauen gemeint: „Gehorchen lern’ich, eh’ ich lieben will“ (Luciana, aus der Komödie der Irrungen).
 
Ich höre schon die Stimmen der Leserinnen dieses Textes: „Das hätte er wohl gerne!“
Übrigens, Goethe sieht das auch so in seinem Stück „Der Gott und die Bajadere“.
 
Die schönste Ursache wird meines Erachtens im alten Sprichwort genannt: „Die Liebe geht durch den Magen.“
 
Jetzt weiss ich schon ein wenig von der Ursache, aber wie fange ich es an?
 
Ich sehe unter dem Stichwort: „-werbung“ nach. Unser Dichterfürst Goethe weiss eine Antwort: 
„Geh den Weibern zart entgegen,
du gewinnst sie, auf mein Wort.
Und wer rasch ist und verwegen,
kommt vielleicht noch besser fort.“ 
Die Autoren der heutigen Zeit sehen das ein wenig anders. Sigmund Graff, 1898‒1979, ein fränkischer Dichter, meint:
 
„Die Frauen, von denen die Männer meinen, sie seien ihnen über den Weg gelaufen, haben sich ihnen in den meisten Fällen in den Weg gestellt.“
 
Oskar Wilde tritt in seiner Schrift „Lehren und Sätze zum Gebrauch für die Jugend“ in die gleichen Fussstapfen: „Meine Meinung ist, dass immer die Frauen den Antrag machen und nicht wir den Frauen.“
 
Friedrich Nietzsche bringt es auf den Punkt: „Die Forderung, geliebt zu werden, ist die grösste der Anmassungen.“
 
Jetzt wissen wir’s. Übrigens: Auf dem Umschlag des umfangreichen Zitate-Handbuchs lese ich:
 
„Der Irrtum wiederholt sich immerfort in der Tat. Deswegen muss man das Wahre unermüdlich in Worten wiederholen.“
 
Nur, lieber Dichterfürst Goethe, was ist „das Wahre“?
*
 
Die 2. Zitatensammlung ist von Ernst R. Hauschka und nennt sich: „Handbuch moderner Literatur im Zitat – Sentenzen des 20. Jahrhunderts“.
 
„Sentenz“ hat laut dem Fremdwörterbuch des Duden 3 Bedeutungen:
 
1) einprägsamer, weil kurz und treffend formulierter Ausspruch und
2) Sinnspruch, Denkspruch als dichterische Ausdrucksform;
3) Richterliches Urteil, und 3. Sammlung von Stellen aus der Bibel und von Kirchenvätern.
 
Ich gehe davon aus, dass die Bedeutung unter 1) gemeint ist.
 
Ausgehend von der Stichwortsammlung kann ich nur feststellen, dass sich das 20. Jahrhundert in geradezu inflationärer Weise mit dem Thema „Liebe“ auseinander gesetzt hat. Es gibt über 50 Stichworte dazu:
 
Liebe
und Abstand
u. Affekt
u. Angst
u. Armut
u. Aufmerksamkeit
(Beeinflussung)
u. Besitz
(Bewährung)
(Dauerhaftigkeit)
u. Einbildung
(Einmaligkeit)
(Entfremdung)
(Entscheidung)
(Enttäuschung)
u. Erkenntnis
u. Freundschaft
u. Frömmigkeit
(Geheimnis)
u. Geist
(Geschenk)
Liebe u. Grösse
(Hingabe)
u. Leid
u. Leiden
u. Macht
u. Mitteilung
u. Opfer
(Problematik)
u. Religion
u. Schmerz
u. Schönheit
u. Schweigen
u. Sexualität
u. Sicherheit
(Sprache)
u. Tapferkeit
u. Tat
u. Treue
(Unruhe)
(Unwiderruflichkeit)
u. Verachtung
u. Verstand
u. Verzehrung
(Verzeihung)
u. Welterkenntnis
(Widersprüchlichkeit)
u. Zeit
(Zerstörung)
u. Zugehörigkeit
u. Zuneigung
Lieblosigkeit
 
Jetzt prüfen Sie einmal, welche der Begriffe positive Gedanken zum Thema aufweisen. Viele sind es nicht! Wieso findet man die Stichworte „und Erfüllung“ oder „und Schwärmerei“ oder „und Glück“ nicht? Kommen diese Inhalte im 20. Jahrhundert nicht vor? Seltsam, nicht wahr?
 
Verstand das 20. Jahrhundert die Liebe nicht mehr?
 
Robert Musil: „Man liebt einen Menschen, weil man ihn kennt; und weil man ihn nicht kennt. Und man erkennt ihn, weil man ihn liebt; und kennt ihn nicht, weil man ihn liebt.“
 
Ludwig Strauss: „Glaube nicht, einen Menschen ganz verstanden zu haben, solange du noch nicht auf das in ihm gestossen bist, was dir unverständlich bleibt.“
 
Wie der Mann oder die Frau sich finden, war im letzten Jahrhundert kein Thema mehr. Es geht vor allem darum, sie zu analysieren, die sogenannte Liebe, also um eine Definition.
 
Deshalb fangen viele Zitate mit den Worten: „Liebe ist...“ an:
„.. der Entschluss, das Ganze eines Menschen zu bejahen, die Einzelheiten mögen sein, wie sie wollen“ (Flake).
„.. die Fähigkeit, Ähnliches an Unähnlichem wahrzunehmen“ (Adorno).
„.. noch am ehesten echt, wenn Zeit und Raum nichts mehr bedeuten“ (Eliot).
„.. der Blick der Seele“ (Simone Weil).
„.. das Genie der Armen“ (Sartre).
„..vor allem ein Lauschen im Schweigen“ (A. de Saint-Exupéry).
„.. etwas Ernsteres und Bedeutungsvolleres als das Entzücken über die Linien eines Gesichts und die Farbe einer Wange; sie ist die Entscheidung für eine gewisse Ausprägung des Menschlichen, die sich symbolisch in den Einzelheiten des Gesichtes, der Stimme, der Gebärde ankündigt“ (José Ortega y Gasset).
„.. Erfüllung, Last und Medizin.“ (K. Tucholsky).
„..unerprobt, solange man nicht für den zu leiden gewillt ist, den man liebt“( H. Perrin).
„..die Religion der schwachen Seelen: sie sind nicht stark genug, das Geistige geistig und das Liebliche leiblich zu erleben“ (Richard Benz).
„.. Verzicht auf Widerstand, und Widerstand ist das Grundprinzip des Geistes. Deshalb vertragen sich Liebe und Geist so schlecht“ (Flake).
 
Und wer jetzt glaubt, er wisse, was Liebe ist, der wird belehrt: „Liebe ist ein Abstraktum und existiert nicht. Es ist immer ein einzelnes Gefühl, eine Leidenschaft, eine Gefahr, eine Vorstellung oder alles zusammen. Niemand weiss, was der Satz bedeutet: ich liebe dich“ (Hertha Kräftner).
 
Bernhard Shaw benötigt nur 3 Wörter: „Liebe ist ungewiss.“
 
Und was machen wir jetzt mit der Metapher „Liebe“?
 
Wir werden sie nie ergründen, denn:
„Die Sprache der Liebe ist eine Geheimsprache, und in ihrer höchsten Vollendung so schweigsam wie eine Umarmung“ (R. Musil).
 
Sogar für das Phänomen, dass sich Ehepaare nach langem Zusammensein nichts mehr zu sagen haben, gibt es eine Erklärung:
 
„Zusammen schweigen können, ist die höchste Blüte der Geselligkeit“ (Isolde Kurz).
Da muss man doch aufpassen, dass die Blüte nicht verwelkt! Viel Spass dabei!
 
 
Quellen
Puntsch, Eberhard: „Zitate Handbuch“, Weltbild Verlag, Augsburg 1990.
Hauschka, Ernst, R.: „Handbuch moderner Literatur im Zitat“, VMA-Verlag, Wiesbaden 1968.
 
 
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