Textatelier
BLOG vom: 29.11.2013

Abschied von Gaudenz Baumann, ehem. AT-Auslandredaktor

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Gaudenz Baumann (28.02.1938‒21.11.2013) war immer berechenbar; sein früher Hinschied im 76. Lebensjahr aber ist eine Überraschung. Er war schlank, diszipliniert, geistig aktiv. Vor einigen Monaten habe ich ihn auf dem Aarauer Bahnhof getroffen, als er gerade von einem Vortrag in Zürich kam. Der Weltenlauf scheint nicht nach den Prinzipien der Logik und der Wahrscheinlichkeit ausgerichtet zu sein. Erst jetzt habe ich vernommen, dass der Verstorbene schon seit etwa 2 ½ Jahren an einem flächenhaft ausgebreiteten, unheilbaren Lungenkrebs (Adenokarzinom) litt, zu dem noch Metastasen auf der Leber kamen. Die schwere Erkrankung habe er „vorbildlich, tapfer und offen angenommen“, steht in der Todesanzeige seiner Familie, die an erster Stelle von seiner Frau, Brigitte Baumann-Renfer, unterzeichnet ist.
 
Gaudenz kam 1970 von den „Basler Nachrichten“ zu uns auf die Redaktion des
damaligen „Aargauer Tagblatts (AT)“, wo er die Leitung des Ressorts Ausland übernahm, die er bis 1996 behielt (ab 1996 war aus dem AT die „Aargauer Zeitung“ geworden). Er blieb weiter im Ausland-Ressort (unter neuer Leitung, die im Rahmen der Übernahme des AT durch das „Badener Tagblatt“ installiert wurde) tätig. Er vertrat die westlich geprägte Politik, stand in der Regel auf der Seite der USA und von Israel; Reisen in Ostblock-Länder wie Rumänien oder Bulgarien blieben mir vorbehalten. Hobbymässig war Gaudenz dem Automobilsport sehr zugetan, so als Pressechef des Bergrennens in Reitnau AG.
 
Redaktionsintern waren wir ziemlich exakt Gegenpole – unsere Ansichten liefen diametral auseinander. Er wurde an der evangelischen Mittelschule Schiers GR erzogen und ausgebildet; ich aber hatte mit all dem, was einen Bezug zur Religion hatte, meine liebe Mühe. Und sein Vater, Theophil Baumann, wirkte von 1945 bis 1970 als allgemein bekannter Chefarzt der Kinderklinik am Kantonsspital Aarau. Mir war das Gesundheitswesen bzw. Krankheitswesen anvertraut, das ich mit kritischem Geist verfolgte. Und so gerieten wir an den Redaktionssitzungen häufig aneinander, wobei ich hier nicht darüber richten will, wer recht hatte. Gaudenz und ich kämen aus der jeweiligen persönlichen Sichtweise zu vollkommen konträren Resultaten.
 
Diese gegensätzlichen Pole wurden allgemein als belebend erkannt, akzeptiert, ja geschätzt. Interessanterweise führten sie niemals und nicht ein einziges Mal dazu, dass wir uns persönlich gekränkt fühlten. Wir begegneten uns immer in freundschaftlicher Verbundenheit und Wertschätzung, spassten und freuten uns über anregende Auseinandersetzungen, die uns beiden wohl gleichermassen gut taten.
 
Gaudenz war ein sehr friedfertiger Mensch, grosszügig, tolerant gegenüber anderen Meinungen, und wenn ich in Nachtdiensten beim Redigieren von Auslandmaterial die Schwerpunkte etwas eigenwillig gesetzt hatte, nahm er das hin. Nur wenn er zu Beginn des Abends Feierabend machte und ich die Zeitung bis zum Redaktionsschluss in eigener Regie zu betreuen hatte, sorgte er in weiser Voraussicht dafür, dass viel Platz bereits besetzt war und ich möglichst wenig Unheil anrichten konnte. Ich trug’s mit Fassung und Verständnis.
 
Irgendwie wollte es gar nicht so recht zu Gaudenz Baumanns Grosszügigkeit passen, dass er in gewissen Belangen pingelig sein konnte. So waren ihm Namen heilig, und das ist ja auch eine wichtige publizistische Grundregel ... nichts Schlimmeres als ein falsch geschriebener Vor- oder Familienname. Er selber war diesbezüglich sehr empfindlich und korrigierte alle Leute, die seinen Namen „Baumann“ mundartlich als „Buume“ auszusprechen wagten: „Baumann – wenn ich bitten darf“. Als sich solche Szenen einst in Anwesenheit von Samuel (Sämi“) Wehrli abspielten, wurde das Problem durch das Du-Angebot gelöst. „Ich bi de Gaudenz“ ... „Prost ,Gudenz’“, war die Antwort. Und so tat sich eine neue Baustelle auf.
 
Das Eingebundensein in strahlungskräftige Organisationen war für Gaudenz wichtig. So präsidierte er den Rotary Club Aarau 1981/82, und er wurde 2008 aufgrund seiner Verdienste mit dem Paul Harris Fellow geehrt. Mit dieser Auszeichnung werden Persönlichkeiten ausgezeichnet, die sich durch ihr Engagement für die Ziele der Rotarys besonders eingesetzt haben: Einsatz für Frieden und Völkerverständigung sowie „Dienstbereitschaft im täglichen Leben“.
 
Wahrscheinlich gehört es sich ja für einen Journalisten, dass er zur Sprache Sorge trägt. So sollte es jedenfalls sein. Eines seiner Markenzeichen war, dass G.B. (sein Kürzel) ein Leben lang einen breiten Basler Dialekt pflegte, obschon er nur seine ersten 7 Lebensjahre (1938‒1945) in Basel verlebt hatte, worauf seine Eltern dann nach Aarau umzogen. Diese besondere Art des Sprechens lockte im Aargau immer Imitatoren an. Immerhin festigte auch sein Studium an der Universität Basel seine Beziehung zum dortigen Dialekt. Er wollte zuerst Medizin studieren, wechselte bald einmal aber in die Philosophische Fakultät über, wo er Geschichte, Germanistik und Anglizistik als Voraussetzung für seine journalistische Laufbahn studierte. Eine Dissertation aber beendete er nicht, da er in der Publizistik seine Erfüllung fand.
 
Vor seiner Ankunft beim AT war Gaudenz Baumann zwischen 1964 und 1970 bei den bürgerlich-konservativen „Basler Nachrichten“ (BN, 1977 mit der National-Zeitung fusioniert) als Lokal-, Sport- und dann Auslandredaktor tätig gewesen. Es war die Zeit des sogenannten Kalten Kriegs (ungefähr 1947 bis 1989) mit den Westmächten unter US-Kommando auf der einen und dem Ostblock unter der Führung der Sowjetunion auf der anderen Seite. Für Gaudenz war eindeutig, welchem Pol unsere Sympathien zu gelten hatten. Mir aber erschien die All- und Übermacht der Vereinigten Staaten von Amerika schon damals als suspekt, und ich sah die Rolle der Schweiz eher als Vermittlerin zwischen den beiden Blöcken, um den Kalten Krieg möglichst kühl zu halten. Beim Zusammenbruch der Sowjetunion (1991) löste sich dieses Kriegsgespenst in Luft auf, und die US-Macht konnte sich gewissermassen ungebremst ausdehnen, wurde zu einer neuen, einseitigen Bedrohung für den Weltfrieden.
 
Ich weiss, dass mir der liebe Gaudenz diesbezüglich nicht zustimmen würde, und umso mehr bedauere ich, dass es ihn nicht mehr gibt. Zwar beschränkten sich unsere persönlichen Kontakte im Pensionisten-Zeitalter auf wenige, zufällige Kontakte, doch die Erinnerungen an einen gleichermassen originellen, originalen wie selbstbewussten Arbeitskollegen bleibt bei mir zurück. Gaudenz ist von seinem schweren Krebsleiden erlöst. Er hat sich von einer Welt verabschiedet, an deren Verlauf er immer regen Anteil nahm, in den vergangenen Jahren, wie er mir bei unserer letzten Begegnung sagte, als monatlicher Kommentator für den „Anzeiger von Saanen“ und den „Frutigländer“ – den Lokalmedien in jener Gegend des Berner Oberlands, wo die Baumanns ein Ferien- und Erholungsrefugium haben.
 
In jener Einsamkeit, die das Beschauliche ermöglicht, konnte G.B. sein Nachdenken über den Weltenlauf und sein Analysieren der politischen Geschehnisse zweifellos vertiefen. In den letzten Jahren und Monaten dürfte sich der Blickwinkel zunehmend auf lebensphilosophische Aspekte ausgeweitet haben, was die ablaufende Lebensuhr in jedem Fall ohnehin gebietet.
 
 
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