Textatelier
BLOG vom: 27.11.2013

Schnapsstorys: Alemannenhasch, Magenfreund Blutwurz

 
Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Hilft vorzüglich bei Übelkeit, Ranzenweh, zur Beruhigung der Eingeweide sowie bei Schluckauf und Fresslust. Zu empfehlen bei Übermut, Ärger und seelische Pein bei Mann und Frau. Im Unverstand genossen, Gefährdung der Potenz und der Verkehrslizenz“
(aus einer Obstbranntwerbung der Hausbrennerei Siegfried Zitzer, Kandern-Hammerstein).
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„Wer genug Schnaps und Bier im Kühlschrank hat, leidet gewiss nicht unter Alkoholproblemen“
(Manfred Schröder)
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Als ich kürzlich eine 0,35 Literflasche „Schwarzwälder Kirschwasser“ mit einem Alkoholgehalt von 40 % auf das Band vor einer Supermarktkasse legte, schaute mich die Kassiererin mitleidig an und dachte wohl: „Schon wieder ein Säufer!“ Deshalb klärte ich sie auf und sagte zu meinem Schutz: „Den Kirsch brauche ich für die Zubereitung der Badischen Linzertorte.“ Ihre Gesichtszüge hellten sich merklich auf, und sie war plötzlich sehr freundlich. Wahrscheinlich hatte sie schon entsprechende Erfahrungen mit Schnapstrinkern gemacht. Ich beobachte immer wieder bei meinen Einkäufen Leute, die nur Schnäpse, Bier und andere hochprozentige Sachen einkaufen. Dabei machte ich mir so meine Gedanken.
 
In diesem Blog möchte ich keineswegs zur Schnapslust auffordern oder andere dazu animieren, Hochprozentiges in rauen Mengen zu konsumieren. Gegen ein kleines Quantum Schnaps als Verdauungshilfe oder Medizin ist wohl nichts einzuwenden. Walter Hess verwendet Schnäpse wie Enzian und Absinth sehr zurückhaltend hin und wieder als Medizin, und den Kirsch zum Fondue als Verdauungshilfe. So sollte es auch sein.
 
Hier sind einige Geschichten rund um den Schnaps.
 
„Le pays du Kirschwasser“
Wenn wir schon beim Kirschwasser sind, möchte ich Ihnen die folgende Geschichte nicht vorenthalten.
 
Schon vor über 100 Jahren waren die Touristen von den Kirschwässern, Obstlern und Topinamburschnäpsen („Rossler“) begeistert. Ein Franzose bezeichnete den Schwarzwald sogar als „Le pays du Kirschwasser“. Zu jener Zeit gab es viele Höfe, die ein Brennrecht hatten. Die Bauern durften pro Jahr ein gewisses Quantum an Schnaps herstellen. Das russgeschwärzte Brennhäuschen befand sich meistens etwas abseits des Hofes. Dort befand sich ein Ofen mit aufgesetzter kupferner Brennblase. In diesen wurde die vergorene Maische eingefüllt und darin erhitzt. Die Alkoholdämpfe und Aromastoffe wurden über eine Kühlschlange kondensiert und zunächst der Vorlauf, dann der Hochprozentige aufgefangen. Aus 2 Zentner Kirschen liessen sich in der Regel 10 Liter Feinbrand mit einem Alkoholgehalt von 60 % gewinnen. Dieser wurde dann mit Wasser auf einem Gehalt von 40 bis 42 % verdünnt. Nach einer Reifezeit kamen die Obstwässer in den Handel.
 
Heute ist es so, dass nicht mehr so viele das Brennrecht haben. Viele bringen dann ihr Obst in eine Brennerei und erhalten dann den Schnaps. Erst kürzlich brachte ein Wanderfreund einen so produzierten Obstbrand, den wir dann anlässlich einer Wanderung geniessen konnten.
 
Magenfreund Blutwurz
Der Blutwurzschnaps soll eine „Wohltat“ für einen malträtierten Magen sein. Es ist deshalb üblich, dass dieser Schnaps in etlichen Wirtschaften auf der Getränkekarte steht. Auch Wanderfreunde sind immer froh, wenn sie nach einer Mahlzeit diesen Schnaps konsumieren dürfen.
 
Ein Bekannter von Friedrich Schmidtke (er war 40 Jahre als Gärtnermeister bei der Firma Kytta-Siegfrieg in Alpirsbach tätig) bekam nach einem Zechgelage Magenbeschwerden. Er konsumierte einen Blutwurzschnaps und meinte lächelnd: „Mir ist wieder wohl, kann wieder weitersaufen.“
 
Im Volk wurde der Schnaps aus der Blutwurzwurzel (Blutwurz = Tormentill, Durmedill) bei Durchfall, Ruhr und Leibschmerzen gebraucht. Daher das schwäbische Volkssprüchlein aus Welzheim:
 
„S mag mer fehle, was mer will
So trink i halt mei Durmedill.“
 
Das Volk war früher überzeugt, die Pflanze helfe auch gegen die Pest. In einigen Sagen wird die grosse Heilkraft der Blutwurz beschrieben. Eine solche Sage entstand im badischen Wiesental. Als die Gegend von der Pest heimgesucht wurde (1348−1349) und viele Menschen starben, kam die Rettung von einem Vogel. Er pfiff vom Himmel „Ässt Durmedill und Bibernell, sterbt nüt so schnell.“
 
Alemannenhasch
Bei einer Bäuerin kaufen wir regelmässig Obst, Gemüse, Kartoffeln, Nüsse und anderes Essbares. Eines Tages bemerkte eine Nachbarin, die auch bei ihr kaufte, dass der Feldsalat und die Kartoffeln besonders gut waren. Auch habe sie zu Hause einen leckeren Schnaps. Da meinte die Bäuerin: „Der ist sicher besonders gut, der ist Alemannenhasch.“ Eine andere Frau, die das Gespräch mitbekam meinte, der Alemanne bräuchte kein Hasch oder Koks, ihm genüge der Schnaps, der ihm zu wohligen Wärme und zu Höhenflügen verhelfe.
 
Schnaps und Zigarillos für einen 96-Jährigen
In meinem Blog vom 13.01.2006 „Heinrich Harrer: Die Zivilisation hinter sich gelassen“ erwähnte ich die folgende Episode:
 
Heinrich Harrer (1912−2006) schenkte jedes Jahr seinem Kameraden Anderl Heckmair (er war damals bei der Erstbesteigung der Eigernordwand dabei) einen Karton Zigarillos der Marke „Toscanelli“. So war dies auch zu seinem 96. Geburtstag. Zur gleichen Zeit erhielt das „Geburtstagskind“ von seinem Leibarzt aus Oberstdorf einen Karton Schnaps. Der Arzt schrieb dazu Folgendes: „Damit das Nikotin von deinem Freund Harrer neutralisiert wird, schenke ich dir den entsprechenden Schnaps dazu.“ Und wie reagierte Anderl Heckmair (1906−2005)? Er meinte in seinem trockenen Humor: „Siehst, das ist ein Doktor!“
 
Kirschwasser für unruhige Säuglinge
In meinem Blog vom 16.07.2006 „Hausmittel: Wenn die Wegschnecke über die Warze kriecht“ erwähnte ich ein „Rezept“ von Anneliese Wulff, eine bekannte Kräuterfrau aus Schönau.
 
Das Kirschwasser wurde und wird für alle möglichen Beschwerden gebraucht. Ein Halswickel hilft bei Halsschmerzen und bei Magenbeschwerden ein Trank. Hatte jemand Herzbeschwerden, wurde das Kirschwasser auf der Herzgegend eingerieben, oder es folgte eine Auflage mit einem Lappen, der mit diesem „Wunderwasser“ getränkt war.
 
Unruhige Säuglinge wurden im Schwarzwald auf besondere Art ruhiggestellt (nicht zur Nachahmung empfohlen!). Die Mutter kaute ein kleines Stück Brot, tränkte die Masse mit Kirschwasser und füllte diese in ein kleines Tuch. Den daraus gedrehten Schnuller bekamen dann die Kinder in den Mund gesteckt. Die nuckelten kräftig daran und wurden ruhig.
 
Diese Anwendung hörte ich erst kürzlich beim Vortrag von Frank Hiepe über Heilpflanzen bei der Firma Hübner in Kirchhofen D.
 
Da wurde eingerieben
Dieselbe Frau erzählte mir, dass ihre Mutter immer den Obstler zum Einreiben bei Rheuma und Herzbeschwerden verwendet hat. Eine Bekannte von ihr rieb ihre Glieder mit Arnikaschnaps ein. Bei einem früheren Urlaub in Südtirol hatte unsere Pensionswirtin eine Flasche mit Schnaps und mehreren Arnikablüten auf dem Fernseher im Frühstückraum stehen. Sie trank den Schnaps nicht, sondern benutzte ihn als Einreibemittel.
 
Meine Schwiegermutter war ebenfalls eine Freundin von Obstler. Sie trank ihn auch nicht, sondern behandelte ihre Beinbeschwerden durch Einreibungen. Was nicht so gut war, sie roch dann eben nach Schnaps.
 
Die Wickelexpertin Maya Thüler empfiehlt Wickel und Kompressen, die mit verdünntem Alkohol oder Alkohol mit essigsaurer Tonerde getränkt sind, bei Venenbeschwerden, Verstauchungen, Prellungen, Quetschungen.
 
Hinweis: Zubereitungen mit Arnika dürfen nur äusserlich angewandt werden. Beim Trinken kommt es zu toxischen Nebenwirkungen (Herzklopfen, Schwindel, Magen-Darm-Reizungen, Kollaps).
 
Was gibt es zum Trinken?
Nachdem wir vor einigen Jahren den Gugelturm bei Herrischried bestiegen und die herrliche Aussicht genossen hatten, gingen wir auf einer Eisentreppe nach unten und steuerten den Kiosk am Fusse des Turmes an. Vom „Turmwart“ wollten wir erfahren, welche Getränke er im Angebot habe. Der witzige Turmwart antwortete: „Von der Salzsäure angefangen, so ziemlich alles!“
 
Als kurz darauf 2 Damen Kuchen für den Nachmittagskaffee brachten, lud er diese zu einem Umtrunk ein. Es gab Gravensteiner Apfelbrand. Kaum hatte er den 42%-igen Schnaps intus, verdrehte er die Augen in höchster Verzückung und meinte: „Der schmeckt so gut, wie wenn ein Engel auf die Zunge pinkelt.“
 
„Heiliges Lourdeswasser!“
Ein Elsässer kam um 1900 von einer Pilgerreise aus Lourdes zurück. An der Grenze zwischen Belfort und Mülhausen wurde er vom Zoll kontrolliert (damals gehörte Elsass zum Deutschen Kaiserreich). Als der Zöllner eine Flasche entdeckte und nachfragte, was drin sei, antwortete der Pilger: „Heiliges Lourdeswasser!“ Der Zöllner öffnete die Flasche, roch daran und stellte fest, da sei ja reiner Schnaps drin. Als der Kontrolleur eine weitere Flasche entdeckte und dem Schmuggler dieselbe Frage stellte, was drinnen sei, antwortete der völlig überraschte Elsässer: „Jesses! Schon wieder ein Wunder!“
 
Zuviel Brot
Die Elsässer Henner und Wickes gehen durch die Basler Freie Strasse. Da findet der eine einen 10-Franken-Schein. Man hält Kriegsrat über die Anlagemöglichkeiten. Henner schlägt vor: „Wir kaufen für 9 Franken Schnaps und für 1 Franken Brötchen.“
Darauf der Wickes: „Was machen wir denn mit dem vielen Brot?“
 
 
Literatur
Harrer, Heinrich: „Mein Leben“, Ullstein Verlag, München 2002.
Oeschger, Bernhard; Weeger, Edmund: „Schwarzwaldleben anno dazumal“, DRW-Verlag, Stuttgart 1989.
Scholz, Heinz; Hiepe, Frank: „Arnika und Frauenwohl“, Ipa-Verlag, Mühlacker/Mühlhausen, 2013.
Thüler, Maya: „Wohltuende Wickel“, Maya Thüler Verlag, Worb, 11. Auflage 2013 (www.wickel.ch).
Zeltingen, Otfried von: „Riss dir ke Bein erüs!“, Selbstverlag, Traenheim-Wasselonne, 1972.
 
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Hinweis auf einen Glanzpunkte-Artikel
„Viel Wagemut und zu wenig Wagevernunft“ (Aphorismen von Manfred Schröder)
 
 
 
 
 
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