Textatelier
BLOG vom: 31.05.2013

Swatch-GV Biel: An CH-Verwurzelung prallte US-Putsch ab

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Generalversammlungen (GV) gleichen Betriebsbesichtigungen. Beide sind ein Spiegel der Betriebskultur. Ob eine GV streng formalistisch oder geistreich und locker vom Hocker zelebriert wird, lässt viele Schlüsse auf das Klima in einem Unternehmen zu. Die GV der Swatch-Gruppe gehört zu den erfrischendsten Treffen überhaupt, was regelmässig zu einem enormen Publikumsandrang führt (2657 Aktionäre kamen am 29.05.2013 nach Biel, wo der Hauptsitz des Unternehmens ist). Die Sache erinnert an eine poppige Swatch. Der grosse Kongresshaussaal genügte nicht, weshalb nebenan, auf der Zentralstrasse, ein grosses Zelt aufgebaut werden musste; Monitore sorgten für eine Übertragung des Geschehens.
 
In bester Laune präsentierte sich Nayla Hayek, laut Mundart-Jahresbericht 2012 „Presidäntin vom Verwaltigsrat“. Da steckt eine knifflige Übersetzungsarbeit dahinter. Die Präsidentin hatte ja auch lauter Erfolgsmeldungen zu verbreiten, so einen auf 1.118 Mia. CHF angestiegenen Bilanzgewinn, der mit Dividendenerhöhungen quittiert wurde.
 
Die heurige Versammlung stand im Zeichen des 30-Jahre-Jubiläums der Swatch Group. Die Firmengeschichte begann (nach einem Fehlstart in Texas USA) 1983 in der Schweiz. Damals lag die schweizerische Uhrenindustrie praktisch am Boden – und heute blüht sie in die schönsten Farben, dank des am 28.06.2010 verstorbenen, Libanon-stämmigen Nicolas G. Hayek, der das Unmögliche möglich machte. Heute beschäftigt die Gruppe mit ihrer starken Asien-Orientierung fast 30 000 Personen; die wesentliche Himmelsrichtung wurde also erkannt. Das Geschäft auf dem amerikanischen Kontinent soll allerdings ausgebaut werden; dort wurden 2012 nur etwa 8 Prozent des Umsatzes verbucht. Im Geschäftsjahr 2012 wurden insgesamt 1500 neue, attraktive Stellen geschaffen, wovon 900 auf die Schweiz entfielen.
 
Die Firma ist eine Art Familienunternehmen geblieben, das im Sinne des Gründers weitergeführt wird – und zwar von Vater Nicolas Sohn Nick Hayek (Presidänt vo dr Konzärnleitig). Er, Liebhaber edler Zigarren, erschien mit bis zu den Ellbogen hochgekrempelten Ärmeln und mit Gilet, insgesamt eine sportliche Erscheinung, der es auf dem Podest gefällt und die den Tarif durchgibt.
 
Im Vorfeld der Aktionärsversammlung hatten sich u. a. die Schweizer Anlagestiftung Ethos oder der US-Stimmrechtsberater ISS sowie die Gesellschaften Z-Capital (aus Chicago, bzw. Zug, die Nebenwerte zusammenkauft) und Actares, die sich in angloamerikanischer Sprache als schweizerisch ausgibt, kritisch über das Wahlprozedere geäussert. Sie empfahlen den Aktionären, den Verwaltungsrat nicht en bloc wiederzuwählen, weil dieser nicht über genügend Unabhängigkeit verfügte. Kritisiert wurde in diesem Zusammenhang die Doppelrolle von Nick Hayek als Konzernchef und Mitglied des Verwaltungsrats. Doch der Putschversuch lief ins Leere; der Verwaltungsrat wurde als Block wiedergewählt. Punkt. Und der überdurchschnittliche Medienvertreter-Aufmarsch war umsonst gewesen. Die bedauernswerten Kopfjäger, die erwartet hatten, man schlage einander die Köpfe ein, wie sich die Vorsitzende Nayla Hayek sinngemäss ausdrückte, trottelten enttäuscht von dannen. Nayla sprach von „einer Familie“ mit Zusammenhalt, die Aktionäre einbeziehend, sichtlich gerührt.
 
Hinter dem lautstark angekündigten Putsch steckte mehr als an der GV zum Ausdruck kam: Die weltgrösste, amerikanische Stimmrechtsberaterin ISS (Institutional Shareholder Services) ist darauf konditioniert, bei CH-Firmen Unruhe zu säen, Aktionäre gegen Verwaltungsräte auszuspielen. Ich nehme an, dass dies auf dem Hintergrund passiert, dass nicht amerikanische Verwaltungsräte abgewählt werden sollen und den Platz für Amerikaner freimachen, auf dass Unternehmen zunehmend amerikanisiert werden können. Man wird die US-Arroganz in Zukunft also zweifellos auch die Zumutungen im Sinne arroganter Zugriffe also auch nicht allein im Bankenwesen, sondern bei Firmen und deren Aktionärsaufläufen überhaupt zu spüren kommen. Der Ausbau der Aktionärsrechte, gegen den an sich nichts einzuwenden wäre, arbeitet dem entgegen.
 
Die ISS machte sich bereits bei mehreren Generalversammlungen im Frühjahr 2013 bemerkbar, so mit Bezug auf die Vergütungsberichte der Bank Julius Bär und beim Biotechunternehmen Actelion, die prompt abgelehnt wurden. Auch bei Geberit empfahl die ISS ein Nein, doch der Vergütungsbericht kam mit 52 Prozent Ja-Stimmen gerade noch über die Runden und die ISS-Intentionen wurden ins Abwasser gespült. Und natürlich spielen die meisten (CH-)Medien erfahrungsgemäss den Amerikanern in die Hände, indem sie vor den Versammlungen des Langen und Breiten über geplante Putsche berichten und so zu Helfershelfern der Putschisten werden. Bei einem allfälligen Ausbau des US-Geschäfts wird sich Swatch solche Vorgänge wohl vor Augen halten müssen.
 
Bei mehreren Gesprächen am Stehbuffet nach der Swatch-GV spürte ich eine grosse Zuneigung zur Familie Hayek und deren Leistungen. Es sei nur logisch, dass sie das Geschehen im Unternehmen weiterhin dominierend bestimmen, war die vorherrschende Ansicht. Ausserordentlich positiv vermerkt wurde auch die ausgesprochene Identifikation der Hayeks mit der Schweiz, was diesmal durch die Dialektpflege zum Ausdruck gebracht wurde. Die Vorsitzende, immer wieder einem Spässchen zugetan, entschuldigte sich mit verschmitztem Lächeln, als sie die formellen Traktanden in Hochdeutsch abwickeln musste.
 
Sogar im Rechnungswesen setzt der Verwaltungsrat auf eine heimatliche Lösung. Er beschloss, zum Rechnungslegungswerk nach Schweizer Standard - dem Swiss GAAP FER ‒ zurückzukehren. Diese Regeln entsprächen den Bedürfnissen der nationalen Industrie besser als angelsächsisch geprägte Standards, sagte Nayla Hayek. Die Gruppe habe sich auch hier für das so wichtige Swiss Made eingesetzt.
 
Das war Swissness, ein Wort mit zweifelhafter Herkunft, aber besser als Swissless, wie sie in der Bundeshauspolitik mit den allzu vielen US-Hofnarren gern auftritt. Es tut gut, wenn man nicht unter Ausverkäufern der Heimat sein muss, sondern ein Unternehmen erleben darf, das auf die „Marke Schweiz“ setzt und damit zweifellos weiter Erfolg haben wird. Und sonst brilliert Nick Hayek mit neuen Ideen. Er sagte, wahrscheinlich kämen die Völker schon noch drauf, dass man an beiden Armen eine Uhr tragen müsste. Und ich könnte ihm, wenn dies endlich geschehen ist, gern weiterhelfen: Wozu hat man denn Fussgelenke?
 
Allenfalls können diese auch beim Kicken gegen US-Attackeversuche beste Dienste leisten.
 
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