Textatelier
BLOG vom: 19.04.2013

Insider und Outsider: Wachsende Mühsal des Anlegerlebens

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com) 
 
Das kann jedermann passieren: Er hat ein paar Franken, Euro oder Dollar durch der Hände und des Kopfs redlicher Arbeit verdient, einiges davon durch ein sparsames Leben zusammengespart, vielleicht eine kleine Erbschaft gemacht und möglichst viel davon auf die hohe Kante gelegt oder, weil die Balken des Baldachins mit dem Geheimfach ausser Mode gekommen sind, auf ein Bankbüchlein, ein Sparheft, angelegt, einen bescheidenen Zins tragend. Dann lehrte das Beispiel Zypern, dass nur noch die ersten 100 000 EUR/CHF sicher sind, Zinsbescheidenheit hin oder her.
 
Die Hefte hatten an Zinsen immer weniger zu tragen, und bald einmal musste man froh sein, wenn die Zinserträge wenigstens die Bankgebühren noch einigermassen zu decken vermochten. Im Finanzwesen geisterte, als die Zinsen gegen 0 % tendierten, das schreckliche Wort Negativzins herum, das heisst, dass man für die Geldhortung (neben den normalen Bankkommissionen) allenfalls am bitteren Ende noch draufzahlen muss. Zum Negativzins kann es aber auch kommen, wenn der Marktzins kleiner als die Inflationsrate ist.
 
Also musste man sich als Sparer nach positiv einträglicheren Anlagevehikeln umschauen, etwa nach Aktien oder zu Anlagefonds gebündelten Aktienpaketen und dergleichen strukturierten Produkten oder gar zu Staatsanleihen. Die anlegerische Risikobereitschaft wurde mit Unsicherheiten reich belohnt. Wo die höchsten Erträge lockten, stieg das Risiko – kein Bankberater, der das nicht offen zugab beziehungsweise zugibt, weil es ohnehin jedermann weiss. Ging man auf ganz sicher, fiel man in die Nähe des Sparbüchlein-Elends im Nullersektor zurück. Bei Anlagefonds und dergleichen kompliziert-komplex gefügten Basteleien, die oft zu Geldfriedhöfen werden, sehen Outsider wie unsereiner ohnehin nicht durch, schon weil man keine Informationen über das fondsinterne Geschehen erhält, nicht weiss, was da alles hin und her verschoben und mit welchen Gebühren belastet wird. Es sind Blackboxen, schwarze Kästen, gut versiegelt. Bewegen sich die Anlagevehikel im Sinn und Geist des Fonds, ist ein moderater Anstieg des Kurses zu beobachten, im anderen Fall jedoch ein schneller Absturz – so jedenfalls habe ich mein erstes und letzten Fondsengagement erlebt.
 
Überall wird manipuliert. Die Kurse sind nervös. Und abgesehen von einigen Insidern, welche die Preisentwicklungen mitbestimmen können, werden die Outsider laufend vor fertige Tatsachen gestellt. Bevor sie reagieren können, ist es schon passiert. Plötzlich schiessen sogar die Edelmetallkurse wie angeschossene Jagdbomber von einer Minute zur anderen in die Tiefe – so etwa am 12. und 15. 04.2013. Die stabilen Metalle veränderten sich deswegen nicht, behielten ihr Gewicht, bloss die Liebe in Form einer persönlichen Wertschätzung erkaltete etwas. Die wesentliche Ursache lag aller Wahrscheinlich nach bei Goldman Sachs im Verein mit Riesenhedgefunds, die Tage zuvor vor dem Kollaps gewarnt haben - wahre Propheten ...
 
Die Manipulatoren haben ein leichtes Spiel: Bei Überreaktionen am Markt spielt immer eine herdentriebige Massenhysterie die tragende Rolle: Brandet eine Verkaufswelle heran, verkaufen alle zu Spottpreisen, ist aber gerade das Einkaufsfieber ausgebrochen, hamstern alle, koste es was es wolle, unterstützt von einer Stimmungsmache und sich selbsterfüllenden Weissagungen, die meistens irreal sind. Tatsächlich sind in dieser Schön- oder Schlechtwetterküche viele Propheten tätig, welche die Entwicklung ihrer eigenen Überzeugung zufolge absehen können. Würde das stimmen, könnten sie in den vorzeitigen Ruhestand treten und müssten sich nicht mit der Zukunftsinterpretation herumschlagen. Sie könnten dank ihres vorauseilenden Wissens eleganter schnellreich werden.
 
An den Börsen geht es ähnlich zu und her wie auf Zeitungsredaktionen und wahrscheinlich in der ganzen, zunehmend unfreien Marktwirtschaft überhaupt: Man schaut ganz genau hin, was die Konkurrenz macht, äfft nach, kupfert Ideen ab. In der global vereinheitlichten, auch im Denken normierten Welt werden dadurch gewaltige Kräfte freigesetzt – die Tsunamis finden nicht allein in Küstennähe statt. Was noch nicht ganz gelungen ist: die Zeitzonen-Vereinheitlichung. Man glaubt es kaum: Noch heute geht die Sonne zum Beispiel in Japan zu einem anderen Zeitpunkt auf als hier im schweizerischen Mittelland, etwa am Oberen Dorfplatz in Biberstein AG. Das wirkt sich in der Praxis so aus, dass sozusagen immer irgendwo auf einem Epizentrum der Finanzen Handel getrieben wird und sich die Meinungsuniformität ohne Unterbruch fortpflanzen kann. Wenn da oder dort verrückt gespielt wird, spielen alle anderen Verrückten ebenfalls verrückt.
 
Man kennt die Redensart, wonach es einfacher ist, in Armut statt im Reichtum zu leben – was auch immer man unter diesen Begriffen verstehen mag. „Ein mürrischer, unzufriedener, zerfahrender Reicher erscheint mir unglücklicher als ein Armer, der weiter nichts als arm ist“, tröstete Michel des Montaigne (1533‒1592) in seinem Essay „Angenehmes und Unangenehmes“. Er fügte gleich ein Beispiel aus der Praxis an: „Auf der Reise fürchtete ich immer, nicht genug Geld mit mir zu haben, und je mehr ich mitgenommen hatte, umso mehr drückte ich die Besorgnis, einmal, ob die Wege sicher wären, ein andermal, ob ich mich auf die Leute, die mein Gepäck besorgten, verlassen könne; hierüber war ich nur beruhigt, wie das auch meinen Bekannten so geht, wenn ich mein Gepäck selber überwachte.“
 
Die Aussage, wonach Geld allein nicht glücklich mache, hat sich in jüngster Zeit akzentuiert, weil Reichtum innerhalb des Sozialisierungsprozesses zu etwas Anrüchigem, ja geradezu Verwerflichen wurde. Im sozialistisch regierten Frankreich des François Hollande mit seiner zerbröselnden Beliebtheit müssen die Kabinettsmitglieder ihre Vermögensverhältnisse offenlegen, ein schwer zu fassender Eingriff in die Privatsphäre, die im Rahmen des Globalisierungsprozesses schrittweise abgeschafft wird.
 
Der finanzielle Striptease ist in Frankreich eine Auswirkung des Skandals um die ausländischen Schwarzgeldkonten von Ex-Haushaltsminister Jérôme Cahuzac, der in der Regierung eine Vertrauenskrise und einen idiotischen Aktionismus heraufbeschwor. Hollande wollte das Vertrauen nach Frankreich zurückbringen, hat damit aber den Neid der Besitzlosen heraufbeschworen, auch Hohn und Spott. Er tappte selber in die Falle, die er gestellt hatte. Denn dabei ist offensichtlich geworden, dass sich der Sozialist Hollande mit Leuten umgeben hat, die einen Hang zum Luxusleben haben – es sind die lebenskünstlerischen Götter in Frankreich, angeführt von Aussenminister Laurent Fabius, sechsfacher Euro-Millionär; er ist der Sohn eines bedeutenden Kunstsammlers, besitzt aber angeblich keine Bilder ... Mehrere Landhäuser, Unternehmensbeteiligungen und teure Autos sind die aufgelisteten Attribute der Regierungsgesellschaft. Im 37 Personen umfassenden Kabinett sind mehrere Millionäre vertreten, Leute also, die es zu etwas gebracht haben. Wer mag ihnen das verargen! Der vermögens-exhibitionistische Sozialist Hollande selber hat ein Immobilienportfolio im Wert von 1,17 Millionen Euro und mehrere Bankkonten, scheute sich aber gleichwohl nicht, den „Mächten des Gelds“ den Kampf anzusagen, was einer Selbstbestrafung gleichkommt.
 
Es ging um ein Wettrennen unter umgekehrten Vorzeichen: Wer ist der Ärmste im Crazy-Horse der französischen Regierung (Ausdruck von Ex-Minister Dominique Bussereau)? Er empfahl: Alle Voyeure Operngläser scharf stellen!“
 
Staaten, Körperschaften und Leute, die nicht mit ihrem Geld umzugehen verstehen, solches im einen Fall auf Notenpressen nachdrucken oder in den übrigen Fällen, wo die Lizenz zum Drucken fehlt, eben gleich direkt Schulden aufhäufen, haben das höhere Ansehen als Wohlhabende. Ein ausgeprägtes Gefühl für Gerechtigkeit sagt den Armen unter den Sozialisten, dass die Reichen den Gutteil ihres Vermögens an sie abzugeben hätten. Dann wäre die Welt wieder in Ordnung – die Reichen wären arm und der Reichtum endlich dort, wo er nun einmal hingehört. Nur vergessen die potenziellen Neureichen, dass ihnen dann das gleiche Schicksal wie den Altreichen blühen könnte.
 
Doch kommen wir nach all diesen Eskapaden zu den eingefleischten Sparern zurück, die sich irgendwo auf der Skala des Mittelstands bewegen. Sollen sie mit ihrer Reservebildung, etwa zur finanziellen Absicherung im Hinblick auf alte, kranke Tage fortfahren, oder das Geld wirtschaftsfördernd verjubeln und verdubeln – im Hinblick auf den Rechtsanspruch auf Sozialhilfe im Stil von Deutschlands Hartz IV? Das wäre eine Variante der von vielen Staaten und Nationalbanken betriebenen, ultralockeren Geldpolitik. Der Wohlfahrtsstaat lässt niemanden verhungern, schon gar nicht die Ärmsten unter den Armen, nicht die Faulsten unter den Faulen, und auch den Kriminellsten unter der Kriminellen geht es gut. Eine riesige Betreuungsindustrie blüht auf – wie soeben die Rhabarberpflanzen mit ihren schirmartigen, in einer grundständigen Rosette stehenden Blättern in meinem Garten. Auch wenn manches säuerlich anmutet – da kann nichts passieren.
 
Alt-Anleger, die nichts mehr anzulegen haben, werden zu unzufriedenen Herumliegern mit dem gemeinsamen Hobby des Demonstrierens gegen die verbreiteten Missstände.
 
Nur an solchen wird niemals ein Mangel herrschen. Und selbstverständlich wird man wieder die falschen Folgerungen daraus ziehen – immer in der Meinung, Gutes zu tun. Operngläser oder andere Sehhilfen braucht es nicht, um das zu durchschauen.
 
 
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