Textatelier
BLOG vom: 21.02.2013

Unter dem Deckmantel der Grösse verschwindet jede Moral

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
 
Die Globalisierung ist ein Ausdruck von Grössenwahn: Wachstum bis zum Gehtnichtmehr – bis alles vereinheitlicht ist, bis zum Ende der Fahnenstange. Bis zum Überdruss.
 
Wenn sich kleine Einheiten zu einer grossen vereinigen, wenn sie zusammenwachsen und dank ihrer Grösse und Stärke alles auffressen, was ihnen in die Quere kommt, geht mit solch einer Monopolbildung auch eine Anonymisierung einher, die immer undurchsichtiger und unkontrollierbarer wird. Umgekehrt: Kaufe ich Fleisch vom Biohof in meiner Nachbarschaft, erhalte ich einen Eindruck von der Wirtschaftsweise und von der Tierhaltung. Wähle ich aber ein standardisiertes Fertiggericht mit Zutaten aus aller Herren Ländern, wo die Schutzvorschriften vage sind und weder eingehalten noch kontrolliert werden, habe ich von dessen Geschichte, Herkunft und Produktionsweise keine Ahnung.
 
Wenn dann wieder einmal ein Skandal um eine tierquälerische Haltung dokumentiert ist und auffliegt, spielt sich immer dasselbe Prozedere ab: Die Behörden wussten von nichts und versprechen, in Zukunft besser hinzuschauen. Im Klartext: Sie haben geschlampt. Made in USA: Wenn man um die Amerikahörigkeit weiss, erscheint es ausgeschlossen, dass dort jemand von aussen zum Rechten schaut und den Weltherren mit ihrem exzessiven Strafbedürfnis auf die Finger klopft.
 
Der „Kassensturz“ des Schweizer Fernsehens SRF dokumentierte am 19.02.2013 zum Beispiel die abscheuliche Haltung von Pferden u. a. in den USA, die für die Schlachtbank bestimmt sind. Geschlachtet werden die Tiere in den Nachbarstaaten Kanada oder Mexiko – und die Amerikaner sind fein raus. Die empfindsamen Tiere werden über Tausende von Meilen ohne Futter und Getränk zum weit entfernten Schlachthof gekarrt. Und ein Vertreter des Schweizer Bundesamts für Veterinärwesen (BVET) rechtfertigte das am Fernsehen überlegen lächelnd mit dem Hinweis, man dürfe nicht vergessen, dass in Amerika die Distanzen halt grösser seien als in der kleinen Schweiz. Daran, dass man unter solchen Umständen Zwischenhalte einfügen und die Pferde vor der Weiterfahrt periodisch betreuen müsste, scheint er gerade nicht gedacht zu haben.
 
Der Lasagne-Skandal (mit undeklariertem Pferdefleisch vermanschtes Rindfleisch) ist in diesem Ausmass nur unter globalisierten Verhältnissen möglich; die Zickzackfahrten von lebenden Tieren und Fleisch sind kaum nachzuvollziehen. Unlautere Geschäftemacher mauscheln mit. Aber die Täuschung von Konsumenten, die auf Bequemlichkeitsfutter abfahren, ist eigentlich nicht das Schlimmste. Gravierender ist die Tierhaltung in den meisten Ländern, nicht allein im christlichen Kulturraum. Auch im jüdischen Israel habe ich eine Truten-Intensivmastanlage gesehen, die zum Himmel schreit. Im Islam ist der Tierschutz zwar tief verankert (im Koran und in den auf Mohammed zurückgehenden Handlungsweisen); doch in der Praxis spürt man wenig davon. In Ägypten war ich schockiert, wie dort auf Esel eingeprügelt wurde, die überladene Karren ziehen mussten, wenn ihre Kräfte erschöpft waren.
 
Unter dem Deckmantel Globalisierung, der dank Schönfärbereien im prächtigen Sternenglanz erstrahlt, lässt sich alles tarnen, nicht nur der Umgang mit den Tieren. Neben dem Tier- ist auch der Menschenschutz in einer geradezu dramatischen Erosion begriffen. Die sich ausprägende Neuen Weltordnung (New World Order) zeigt immer hässlichere Auswüchse. Der Begriff NWO, in den 1920er-Jahren entstanden, wird auf den US-Präsidenten Woodrow Wilson zurückgeführt. Man strebte ein friedliches Zeitalter unter US-Führung an, ein Widerspruch in sich. Die US-Bewohner haben sich seit der Inbesitznahme des Landes durchwegs kriegerisch gezeigt. In den letzten Jahren haben sie zum Beispiel via den 1947 gegründeten US-Geheimdienst CIA Mordkomplotte und Staatsstreiche noch und noch angezettelt und unterstützt, die zu Bürgerkriegen führten, zu Zehntausenden von Kriegstoten und -verletzten, zu einem unbeschreiblichen Flüchtlingselend, zu destabilisierten politischen Verhältnissen und einem Zusammenbruch der Wirtschaft und des Tourismus (siehe „Arabischer Frühling“ mit der Zerstörung Nordafrikas unter dem Demokratisierungsvorwands). Der Terrorismus wird aktiv gefördert. Und diese oft masslos überzeichnete Terrorismus-Gefahr wiederum wird z. B. dazu benützt, um die Folter, die vor der Zeit von George W. Bush international geächtet war, und dergleichen Verbrechen wieder salonfähig zu machen – ein Verstoss gegen das Völkerrecht, der einfach so hingenommen wird.
 
In der Folge hat Barack Obama die Entwicklung der Drohnen als Tötungswaffen von Schuldigen und Unschuldigen stark vorangetrieben. Dieser jetzige US-Präsident hat sich in einem Mitte Februar 2013 veröffentlichten Memorandum die Bewilligung geben lassen, die Tötung jedes Amerikaners (und seines Umfelds) anzuordnen, wenn dieser als Gefahr für Amerika deklariert ist – der Präsident und Friedensnobelpreisträger darf also als Serienmörder agieren. Unterstützt von willfährigen Medien. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass sich diese Killerlizenz nicht auf Amerika beschränken wird.
 
Der Sittenzerfall hat ungeheuerliche Dimensionen angenommen, und vieles ruht noch unter dem Deckmantel, wird nur in homöopathischen Dosen bekannt. Viele Leute, die mit Sport, Nachtleben, Partys und Gekreisch bei den überbordenden Musikveranstaltungen aus dem infantilen Sektor abgelenkt werden, haben das kritische Urteilsvermögen verloren und nehmen nicht wahr, was um sie herum geschieht. Selbst bei der amerikanisierten Banalkultur zählen das Universale, das Allgemeingültige, das Massenmedial hochgespielte. Alle wollen Musik machen und ein Star werden. Franz Hohler, Schweizer Kabarettist, sagte einmal sinngemäss, wenn alle auftreten, gebe es kein Publikum mehr.
 
Doch es braucht gerade Publikum, das man in der Welt des Konsums Konsumenten nennt. Konsumenten wollen (irre)geführt sein – bis dann wieder ein Skandal ausbricht und der Globalisierungsnonsens für eine befristete Zeit ins Bewusstsein gerufen wird. Dann lockt schon wieder die nächste Weltmeisterschaft, der nächste Event, und man fällt in den alten Tramp zurück und vergisst.
 
Eine gewisse Gegenbewegung gibt es schon, die man nicht sehr glücklich als „Cocooning“, als ein Verpuppen, bezeichnet hat. Die modernen digitalen Kommunikationsmittel haben den Blick auf die Welt erleichtert, und ein Rückzug ins Schneckenhaus wäre unter solchen Vorbedingungen falsch; man muss wissen, was international abgeht. Die erweiterte Sicht müsste und könnte für einen besseren Überblick, ein tiefgründiges Ausloten der Vorgänge und als Grundlage für eine exakte Beurteilung der Vorgänge genutzt werden. Aufgrund solcher Erkenntnisse würde man sich zweifelsohne vermehrt dem überblick- und kontrollierbaren Naheliegenden zuwenden, sich nicht durch grössenwahnsinnige Gebilde vereinnahmen lassen und den Wert der Selbstbestimmung ausserhalb von Schicksalsgemeinschaften aus Egoisten erkennen. So hätte das Verpuppen, das nicht mit einem Abschotten einher gehen muss, seinen Sinn. Es geht um die Bewahrung der Eigenständigkeit.
 
Doch wer nicht mitmacht, lebt gefährlich. Der Braunbär „M13“, ein Einzelgänger, der keine Scheu vor Menschen hatte und wohl ans Friedfertige in ihnen glaubte, wurde auf Anordnung der Behörden des Kantons Graubünden und des Bundesamts für Umwelt (Bundesamt gegen Umwelt) am 19.02.2013 im bündnerischen Puschlav abgeschossen. Viele Bündner haben eine ebenso panische Angst vor Wildtieren wie die Amerikaner vor Terroristen. Jäger haben dort ein hohes Ansehen. Unangepasste Menschen erklärt man zu Terroristen, und Problembären werden zu Risikobären, wenn sie zu nahe von Wohngebieten herumtrotten. Und dann wird von der Lizenz zum Töten Gebrauch gemacht – gegen ein geschütztes Tier. Das hat auch mit dümmlich skandalisierenden Medien und fehlender ökologischer Bildung zu tun.
 
Im April 2008 ist der ebenfalls aus Oberitalien eingewanderte Braunbär „JJ3“ abgeknallt worden. Die Italiener und andere Länder haben mit Bären offenbar kein Problem. Bären werden offensichtlich erst zur Todesgefahr, wenn sie die Schweizer Grenze überschritten haben. Der vorschnelle Griff zum Gewehr ist eine Folge von Unaufgeklärtheit über die Möglichkeiten, das Zusammenleben zu versuchen, sein Verhalten zu verstehen und ihm vielleicht auch einmal etwas Küchenabfall zu gönnen, zum Beispiel Lasagne, die niemand konsumieren will. Und im Übrigen könnte man ja einmal in Alaska nachfragen.
 
Nur gerade wenn es um die Erweiterung der Todeslisten, ums Foltern, um Drohnen-Morde und irgendwelche Abschüsse geht, darf das Kleinkarierte auferstehen, abseits aller moralischer Bedenken.
 
 
Literatur zum Thema
Hess, Walter: Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, Verlag Textatelier.com, CH-5023 Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-0-7.
 
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