Textatelier
BLOG vom: 19.01.2013

England: Der Skandal um die Pferdefleisch-Hamburger

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Knapp 30 % Pferdefleisch enthalten die von der Supermarkt-Kette Tesco vertriebenen „Beef-Burger“. Damit wird das Fleisch der Rinder und Kühe gestreckt und der Konsument düpiert. Geringe Mengen von Pferdefleisch wurden in England auch in „Burgern“ von Aldi, Lidl und Iceland entdeckt. Angesichts des hohen Umsatzes von Hamburgern verbessern selbst kleine Mengen von Pferdefleisch die Gewinnmargen im heiss umkämpften Burgermarkt. Die entdeckten Spuren von Schweinfleisch mögen allerdings davon herrühren, dass Rind- und Schweinefleisch oft wechselweise in der gleichen Produktionsstätte verarbeitet werden, und Vergiftungen sind davon ja nicht zu erwarten. Die Briten sind gleichwohl empört. Strenggläubige Juden essen weder Pferde- noch Schweinefleisch. Auch die Muslime meiden das Fleisch vom Schwein und verzehren nur wenig Pferdefleisch.
 
Stracks wurden in England die Verkaufsregale von diesen „kontaminierten“ Produkten geräumt. Tesco hat sich für das vermeintliche Versehen in ganzseitigen Inseraten entschuldigt. Der Presse entnahm ich ausserdem, dass Pferde kreuz und quer durch Europa zu den Schlächtereien transportiert werden. Hauptabnehmer für Pferdefleisch sind Italien, Frankreich und Belgien. Über 8000 Pferde wurden allein in 2012 England geschlachtet und ins Ausland verfrachtet (verglichen mit 3800 Pferden im Jahr 2007). In Polen hingegen werden jährlich rund 100 000 Pferde, billiger als anderswo, an Schlachthäuser geliefert.
 
Was die Presse bisher verschwiegen hat, ist der Umstand, dass der Kilopreis für Pferdefleisch in England rasant gesunken ist, so sehr, dass viele Pferde arg vernachlässigt werden und möglich rasch geschlachtet werden. Der aufwendige Unterhalt von Pferden, die für Schlächtereien bestimmt sind, lohnt sich nicht mehr. Dies ist ein gefundenes Fressen für die Pferdefleisch-Händler, die sich als Lieferanten im Einzelhandel einnisten.
 
Die auf Pferdefleisch spezialisierten Läden der Pferdemetzger, in Frankreich als „Chevalines“ bekannt, sind mit dem Aushängeschild eines Pferdekopfs augenfällig gekennzeichnet. In der Schweiz vertreiben Coop und Migros ebenfalls Pferdefleisch; es wird oft in Spezialitäten wie „Moschtbröckli" (Appenzeller Produkt) umgewandelt. Und noch etwas: Pferdefleisch wird auch zu Hundefutter verarbeitet.
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Vor 18 Jahren entkam ich knapp einem Pferdesteak, als mein Arbeitskollege in Belgien mich und den Firmenchauffeur zu einem Essen einlud. Ich verzichtete auf diese Hausspezialität eines gut frequentierten Restaurants in Brüssel.
 
Warum soll es den Pferden besser ergehen als den Kühen, Schafen, und dem Rotwild? Ich reihe die Pferde in die Kategorie der Haustiere ein. Reitpferde werden liebevoll gestriegelt und in Ställen verpflegt. Aber letztere müssen sich auf Pferderennen beweisen, sonst werden sie, wie die Windhunde auch, beseitigt. Stämmige Ackergäule haben grösstenteils ausgedient. Einige Brauereien unterhalten noch einige solche kräftige Pferde als Zugstiere für Wagen mit Bierfässern bei festlichen Gelegenheiten.
 
Der Ausritt aus den Stallungen im Wimbledon Village zum nahen Wimbledon Common ist mir immer ein erfreulicher Anblick. Die Autofahrer müssen sich ans gemächliche Getrampel der Pferde anpassen. Dann und wann lüftet ein Pferd den Schweif und lässt dampfende Rossäpfel fallen. Kleinkinder reiten auf Ponys, die an der Leine geführt werden, mit. In allen Kulturen besteht eine enge Bindung zwischen Mensch und Pferd.
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Der Engländer liebt Pferde, eine Tradition. Das bezeugen u. a. die von George Stubbs (1724‒1806) gemalten Pferdebilder. Turnierpferde arabischen Herkunft habe ich selbst nicht gesehen; doch sind mir die Freiberger Pferde im Schweizer Jura unvergesslich geblieben. Wie übermütig dort die Füllen herumtollen! Das ist für mich einer der Gründe, weshalb ich den Handel mit Pferdefleisch verabscheue.
 
In England überwacht die berittene Polizei noch immer die Horden von Besuchern von Fussballspielen unterwegs zum Stadium. Auch bei Krawallen erscheinen die Polizisten zu Pferd. Mit viel Pomp zeigen sich die Königin und Prinz Philipp bei jeder Gelegenheit dem Volk in der Luxuskutsche, die vom Pferdegespann gezogen wird, von der Kavallerie flankiert. Zum Glück zieht die Kavallerie nicht mehr mit gezogenen Säbeln in die Schlachten. Die Kavalleriepferde dürfen nach vielen Arbeitsjahren ihren Ruhestand auf Wiesen geniessen; sie werden umhegt. Sie haben es besser als viele Pensionierte, die darben müssen. Aus den Schindmähren wird Hunde- und Katzenfutter fabriziert.
 
Die Pferde sind klug, duldsam, anpassungsfähig, gelehrig und elegant. In der Spanischen Hofreitschule in Wien kann man sehen, welche Kunststücke die Lipizzaner Hengste zu vollbringen vermögen. Sogar zur Musik trippeln sie im Takt. Doch von der Profitgier getrieben, tragen die Metzger und Verarbeiter von Pferdefleisch weiterhin ihre Scheuklappen. Und die Handelsketten und die Konsumenten scheinen munter mitzuhalten.
 
 
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