Textatelier
BLOG vom: 16.01.2013

Schönheit dieser Welt: Die ewige Frage nach dem Dahinter

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Ein tiefsinniger Denker ist er, der das Unergründliche zu ergründen sucht. Wenn immer wieder ein Rätsel nach Erklärungen verlangt, entsteht daraus ein Buch wie das jüngste Werk aus seinem Wegwarte Verlag: „Entstehung und Schönheit der Welt“. Die Rede ist von Fernand („Sepp“) Rausser, geboren 1926 und noch kein bisschen müde. Er hat sein berufliches Leben als selbständiger Fotograf, einer der bekanntesten der Schweiz, gestaltet, hat die Natur im Grossen und bis ins Detail aus seiner eigenen Perspektive geschaut und abgebildet: Filigranes und weite Landschaften mit ihren Bergen, Seen und vom Menschen erzeugte Veränderungen, Hochbauwerke, Verkehrswege. Ihm liegt es, seinem Wesen entsprechend, an Harmonie, an Symmetrie, die ein Synonym für das Harmonische ist. Er schafft Ordnung in der Komplexität der wirren und oft genug verwirrten Welt, präsentiert das Wahre, das Wunderbare, die Perfektion. Und Gegenüberstellungen von Fotos, die nach dem gleichen Muster aufgebaute Unterschiede im Makro- und Mikrobereich sichtbar machen, verhelfen seinen Bildern zu einer zusätzlichen Spann- und Aussagekraft. So findet er etwa die Formen eines kleinen Bergkristalls in der Steilwand eines Gebirges wieder. Und hat nicht ein Kieferwald im Norden viele Ähnlichkeiten mit einem Palmenhain im Süden?
 
Die Bilder sind das Anschauungsmaterial zu den im neuen Buch versammelten Texten, die vom Teilchenphysiker Niklaus Berger, dem Theologen Leonardo Boff, dem Mikrobiologen Martin Ernst Schweingruber und dem Theologen und ehemaligen Strafanstaltdirektor Hans Zoss verfasst sind, akzentuiert vom persönlichen Wissenshintergrund und der daraus herausgewachsenen Denkwelt. Neue Erkenntnisse sind einbezogen „Je mehr die Evolution und damit das Leben erforscht werden, desto faszinierender wird alles“, schreibt Hans Zoss im Vorwort. Das Staunen und die Ehrfurcht vor dem Leben wachsen.
 
Niklaus Berger nimmt sich der Gesetzmässigkeiten und Zusammenhänge nach heutigem Wissen und Verständnis an. Die Gesetze sprechen die Sprache der Mathematik und „sind von unerwarteter Eleganz, Symmetrie und Einfachheit“ – und deshalb passen Raussers Bilder so hervorragend dazu, wie man beifügen muss. Verschiedene Modelle können durch Messungen bestätigt werden, aber eine absolute Gewissheit ist unerreichbar. Und die letzten Fragen bleiben offen: Wie kam es zum Anfang des Universums? Woher kamen die viele Energie und die Elementarteilchen, die sich mit sehr grosser Geschwindigkeit umherbewegen, also zu den kleinsten Bauteilen der Materie. Wie kam es zu den 4 Naturkräften: Schwerkraft (Gravitation), elektromagnetische Kraft, die starke Kernkraft (die Teilchen in den Atomkernen zusammenhält) und die schwache Kernkraft (die für gewisse radioaktive Zerfälle verantwortlich ist)?
 
Mit Erzählungen wie etwa jener vom Schöpfer des Himmels und der Erde, wie sie in der Bibel zu finden sind, schaffen sich die Menschen einen Sinn und Ordnung, überwinden das Absurdum – so beschreibt es Leonardo Boff. Die Schöpfung hat keine Vorgeschichte. Sie ist einmalig.
 
Das Bild von der Entstehung der Atmosphäre, das sich die Physiker machen, zeichnet Martin Schweingruber nach: Vor 13,8 Milliarden Jahren bildete sich Materie in Form von Elementarteilchen wie Wasserstoff und Helium, die zu chemischen Elementen verschmolzen. Nach der Entstehung des Sonnensystems und der Erde vor 4,6 Milliarden Jahren entstanden ständig komplexer werdende Moleküle bis zu den chemischen Grundbausteinen des Lebens. Heute sind die Sequenzinformationen der DNA (Desoxyribonukleinsäure) die wichtigsten Grundlagen für die Stützung der Evolutionstheorie, die nicht zielgerichtet und nicht abgeschlossen ist. Das Leben organisiert sich selbst, entwickelt sich weiter.
 
Auch hier bleibt die zentrale, ewige Frage offen: Wie denn konnte es zur Bildung von Materie kommen? Was ist hinter dem Anfang? Was unbeantwortet ist – und man muss ja auch nicht alles wissen –, lässt beliebige Spielräume und Interpretationsmöglichkeiten offen. Gelegentlich ist diese Berner Redensart angebracht: „Mer wei nid grüble“ (Wir wollen nicht im Unerklärlichen herumstochern). Stattdessen kann man sich an den Schönheiten der Naturäusserungen erfreuen. Allerdings kann man auch hier hinterfragen: Was ist „Schönheit“? Mit diesem wandelbaren Begriff hat sich der Mikro- und Molekularbiologe Schweingruber in einem „Brief an einen Fotografen“, der das Buch abrundet, auseinandergesetzt. Ein zentraler Satz: „Schönheit ist etwas Wahrgenommenes, das in jedem Menschen ein eigenes Wohlgefühl und Wohlempfinden auslöst.“ Wohltuende Reize haben einen positiven Effekt.
 
Und eben das ist auch vom neuen, sorgfältig gestalteten und gedruckten Buch zu sagen. Das Querformat verbreitert das Schauvergnügen, erlaubt Gegenüberstellungen, Symmetrien. Die Ursuppe dazu hat „Sepp“ Rausser angerichtet, von jugendlicher Tat- und verlegerischer Evolutionskraft und von seiner Hinwendung zu den Erfassbaren und auch zu den unerklärlichen Dingen getrieben.
 
Er ist, sozusagen auf den Spuren des griechischen Philosophen Platon wandelnd, von symmetrischen Weltformeln angetan, zeigt sie in Abwandlungen in seinen Meisterfotos immer wieder – von Tetraeder bis zum Dodekaeder, die fantasiereich zu organischen Formen umgewandelt sind.
 
Die Bilder sind, wie es in Raussers Büchern die Regel ist, nicht mit erklärenden Bildunterschriften (Legenden) versehen. Sie sollen als eigenständige und eigenwillige Werke wirken und den Betrachter zu individuellen Interpretationen anregen, ihn erfreuen und zur noch ausgeprägteren Wertschätzung der Natur hinführen. Der Nachholbedarf ist noch lange nicht gedeckt.
 
 
Bibliographische Angaben
Berger, Niklaus; Rausser, Fernand et al.: „Entstehung und Schönheit der Welt“. Wegwarte Verlag, Bolligen BE 2012. ISBN: 978-3-9523235-8-8.
 
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