Textatelier
BLOG vom: 04.12.2012

Fischsauce und Konsorten: Grundlagen der grossen Küche

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Die von Grund auf zubereiteten Saucen (Sossen), denen die grossartige französische Küche (La grande cuisine française) ihren Ruf verdankt, sind heute in Gefahr. Das Wort Sauce kommt von Salsa = die Gesalzene, was auf einen intensiven Geschmack hingedeutet haben mag. Und es war ein Deutscher, der Gastrosoph Freiherr von Vaerst, der in seiner „Gastrosophie oder Lehre von den Freuden der Tafel“ schwärmte: „Mit Saucen beginnt erst das ideale Streben der Kochkunst. Wenngleich ein klassischer Koch in allen übrigen Bereitungen Verstand und Geist zu entwickeln mannigfaltige Gelegenheit findet, so geht doch die rechte Romantik der Kochkunst mit den Saucen an, und dort kann er sich bis zur Schwärmerei verirren.“
 
In der modernen blitzschnellen, simplifizierten 2-Minuten-Blitzküche, in denen es vor allem ums Öffnen von Verpackungen einschliesslich von Plastikflaschen geht, kauft man die Sauce in fabrikmässig vollendeter Form nach Ketchup-Vorbild, der amerikanischen Sugo-Variante. Die Kreativität beschränkt sich auf das Auswählen der individuell genehmen Geschmacksrichtung, insbesondere zwischen milden und heissen Variationen kann man auswählen. Wer sich für besonders scharfes Zeug entschliesst, braucht sich kaum noch darum zu kümmern, was damit begraben wird; die Sauce erschlägt ohnehin alles. Was ja manchmal auch nötig sein kann. Es kann aber auch sein, dass eine würzende, herrlich duftende Sauce eine simple Speise zur Delikatesse macht, wie etwa eine Sauce Bolognaise mit dem eingearbeiteten Rinderhackfleisch die Spaghetti erst vollendet.
 
Der Saucier
In den Grossküchen erstklassischer Restaurants gab und gibt es wohl noch heute den Saucenkoch, den Saucier, einer der hervorragendsten der Küchenbrigade, der meistens einen übergeordneten Rang hat. Die Sauce hat den Auftrag, den Eigengeschmack des Gerichts zu intensivieren und nicht etwa zu überdecken und muss wie ein vollendetes Gedicht komponiert sein. Dadurch erhält die Sauce zusätzlich einen Eigenwert, weshalb in den besten Restaurants Frankreichs ein runder Saucenlöffel das Besteck-Sortiment erweitert. Und der Geniesser tunkt das Weissbrot in die Sauce, um den letzten Tropfen auszukosten – was in Deutschland als unanständig galt, auch wenn man dort gelegentlich noch das Wort Tunke in den Mund nahm. Das ist bei den Saucen, wie es sie dort früher gab, ja auch nicht so schlimm. Inzwischen hat sich die deutsche Küche oft zu Höhenflügen aufgeschwungen.
 
Natürlich verändern sich auch die Saucen mit dem Zeitgeist. Vor allem beim Erblühen der Nouvelle Cuisine schlug den hellen und dunklen Mehlschwitzen die Stunde, und kein Knochen mag diesem Kleister nachtrauern. Man röstete das Mehl in Fett, bis es hell oder dunkelbraun war, je nachdem, welche Saucenfarbe man haben wollte. Dann nahm man halt den Mehlgeschmack und die bis ins Schmierige gehende Konsistenz in Kauf. Viele Fertig-Fonduemischungen verkleistern ebenfalls leicht, weil als Geling-Garantie zu viel Stärkemehl (wie Maizena) zum Binden zugefügt wurde – ich mache grosse Bögen darum herum.
 
Verschwendungsaspekte
Man spricht heute zu Recht von der Verschwendung von Lebensmitteln, die auf Unkenntnis, falscher Organisation und Dummheit beruht. Viel essbare Substanz geht dadurch verloren, dass man von Fleisch Fettränder, Schwarten, Sehnen, unförmige Teile und alles, was die mit Filetstücken Verwöhnten stört, grosszügig abschneidet und in den Abfalleimer wirft. Besonders viel Weggeschnittenes häuft sich beim Zerlegen von Fischen an; dem Sezieren fällt oft sogar die Haut von Kleinfischen zum Opfer. Doch gerade diese Abschnitte, auch Gräten, Knochen usw. eignen sich hervorragend für die Saucenfondszubereitung. In Metzgereien kann man solche Abschnitte oft zu günstigen Konditionen oder gratis beziehen. Ein daraus entstehender ein Fonds (Jus), den man portioniert einfrieren kann, ist die denkbar beste Saucengrundlage.
 
Der Fonds = die Grundlage
Man brate die Knochen kräftig an, gebe die etwas zerkleinerten Fleisch- oder Fischabfälle hinzu, brate etwas weiter (für helle Saucen weniger lang), gebe Karotten (Rüebli), gehackte Zwiebel und Sellerie dazu, lösche mit Wasser ab, füge allenfalls ein Gewürzsträusschen (Bouquet garni) und für Fleischsaucen Tomaten zu, und lasse das alles 4 bis 5 Stunden lang köcheln, wobei sich die Küche mit einem herrlichen Duft erfüllt, der sich mit der Vorfreude vermischt. Den Schaum und das obenauf schwimmende Fett schöpft man von Zeit zu Zeit ab. Gegen Ende der Prozedur wir die Flüssigkeit etwas eingekocht und durch ein Haarsieb in eine Schüssel umgegossen.
 
Das Rezept, das hier nur rudimentär beschrieben ist, kann beliebig abgewandelt werden. Jedes gute alte Kochbuch, das man wieder einmal konsultieren sollte, liefert entsprechende Ideen. Der wegweisende „Kochkunstführer“ von Auguste Escoffier, dem wahrhaften Meister der grossen Küche, befasst sich gleich zu Beginn mit den Saucen: „Die Fonds bilden die Grundlage unserer Arbeit“, schreibt er, denn sie verleihen den einzelnen Gerichten ihr festes Fundament. Man könne nicht genug Sorgfalt und Aufmerksamkeit auf ihre Zubereitung auf der Grundlage eines Jus oder Fonds (Roux, Velouté de poisson) verwenden. Eine Fischküche ohne Fischfumets (Fischbrühe) ist für Escoffier undenkbar; denn erst dadurch erhält der Fisch den für ihn charakteristischen Geschmack. Mein bevorzugtes modernes Kochbuch ist Romeo Brodmanns relativ neues Werk „Saucen nach Escoffier“, erschienen im Fachbuchverlag von GastroSuisse, CH-8046 Zürich. Ich lasse mich immer wieder gern davon belehren und inspirieren.
 
Kürzlich habe ich (soweit als möglich) frische Dorschfilets (Kabeljau) gefunden, zumal das Fleisch dieser Fischart nach meinem Empfinden zu den wohlschmeckendsten überhaupt gehört. Dorschfilets sind allerdings etwas schwierig zuzubereiten, weil die Filets segmentiert sind und gern auseinander fallen, weshalb man genügend lange Kellen verwenden muss, wenn man sie wendet.
 
Die Fischsauce mit den Wermutstropfen
„Willst du die Sauce machen“, rief meine Frau, die eben den Reis aufsetzte. Solche Einladungen nehme ich liebend gern an. Ich entfloh dem Computer, band die Küchenschürze um, schnetzelte eine Zwiebel und dünstete sie in eingekochter Butter an. Bevor sie zu bräunen anfing, löschte ich mit einem gehaltvollen Chardonnay aus Poussan F (Terroirs du sud) ab, nicht ohne diesen degustiert zu haben. Ein Lacroix-Fischfonds rettete den weiteren Fortgang – manchmal muss man halt doch auf industrielle Fertigprodukte zurückgreifen. Währenddem die Sache friedlich köchelte, verrichtete ich die Feinarbeit an der Sauce, gab wenig Salz und Pfeffer aus der Mühle dazu, liess zu Zwecken der Bindung etwas Butter darin zergehen.
 
Auf das Abmessen und Abwägen verzichte ich; denn jedes Gericht soll je ein Unikat sein, und ich steuere dessen Duft und Geschmack durch ständiges Abschmecken, freue mich am Fortgang der Komposition mit deren sich ständig ändernden Nuancen. Ein grosser Löffel Crème fraîche (Sauerrahm) brachte die Samtheit in die Fischsauce, die erst jetzt aufzublühen beginnt. Ich fand noch etwas getrockneten Dill im Gewürzregal und im Garten frische Petersilie. Die abgedampfte Wassermenge ersetzte ich grosszügig mit Wein und hatte das Gefühl, 2 Tropfen einer Pfeffersauce könnten nicht schaden, was sie denn auch nicht taten. Als die mit Salz und Pfeffer gewürzten Fische in Butter gebraten waren, rundete ich die Sauce mit einem Teelöffel Noilly Prat ab – diesen französischen Wermut muss man wirklich sehr zurückhaltend einsetzen; ich hatte vor einigen Tagen eine Fischsauce fabriziert, in der er zu dominant in Erscheinung trat. Aber ganz wenige Wermutstropfen sind eine delikate Aufwertung der Fischsauce. (Die Redensart vom bitteren Wermutstropfen für etwas, das schmerzlich berührt, liegt sich ziemlich daneben – eine Delikatesse und Heilpflanze wird zu Unrecht despektierlich behandelt.)
 
Die Sauce solle man dann durch ein Haarsieb passieren, heisst es in praktisch allen Rezepten; doch tue ich das nicht. Die weichgekochten Zwiebelstückchen sind ja vom Wohlgeschmack des aromatischen Fonds durchdrungen, so dass deren Aussortieren eine reine Verschwendung wäre.
 
Meine Sauce leerte ich dann in die von den Fischfilets befreite Bratpfanne um, um noch allfällige Reste von Fischsaft zu erwischen, spülte mit wenig Wein nach, liess nochmals aufkochen, rührte um, schmeckte ab: Ein Traum mit einer angenehmen Säure, die sehr gut mit dem Fisch harmoniert und den Zitronensaft fast überflüssig macht. Wie schnell man doch in neue, paradiesische Welten entschweben kann!
 
Fischessen im „Bären“ Birrwil AG
Als ein ausgezeichnetes Fischrestaurant gilt der „Bären“ in Birrwil AG oberhalb des Hallwilersees (www.baeren-birrwil.ch). Ich wollte schon lange dorthin, nachdem mir der Berufsfischer Heinz Weber einst gesagt hatte, der Bärenwirt Max Eichenberger akzeptiere nur fangfrische Fische. Und am 30.11.2012 versammelten wir uns dort zu einem familiären Festessen. Die Aussentemperatur bewegte sich um den Gefrierpunkt herum, und umso wohler fühlten wir uns in der heimeligen Gaststube, die mit viel Holz, das während vieler Jahrzehnte schon manch ein Fischessen beobachten konnte, ausgekleidet ist. Hier ist in den etwa 30 Jahren, seitdem Max und Dora Eichenberger-Hirtiger den Familienbetrieb übernommen haben, nur wenig verändert worden. Der Service ist fern von jeder Aufdringlichkeit, einfühlsam. Auch gekocht wird noch im grossmütterlichen Stil. Da wird alles selber gemacht, und sogar Frittiertes wird mit der denkbar grössten Sorgfalt bei steigender Temperatur zubereitet, auf dass Kartoffeln und Fische nicht zu viel Öl aufsaugen.
 
Wir tranken zum Apéro einen Weisswein aus Aigle VD im unteren Rhonetal und hatten lange, lange Zeit, um uns angeregt zu unterhalten. Dazu wurden ein kräftig gebackenes Brot, Butter sowie grüne und schwarze Oliven kredenzt. In der Küche bereitet der Wirt alles persönlich zu – und zwar ohne Zubereitungsbeschleuniger wie Mikrowellengeräte und Steamer einzusetzen.
 
In dem als Dorfbeiz daherkommenden Gourmetlokal herrschte eine fröhliche Stimmung. Eine Dame, die in einer anderen Ecke des verwinkelten Lokals sass, gab in einer unglaublich variantenreichen Art alle Variationen des Lachens zum Besten, vom Grund- und Reflexlachen bis zum herzhaft brüllenden Lachen mit ständig wechselnden Vokalkombinationen, das sich manchmal kaum noch mit der Atmung in Übereinstimmung zu bringen liess. Die Lachsalven wirkten ansteckend. Und auch an einem Nebentisch von uns wurde oft schallend gelacht, was soziale Bindungen verstärken soll.
 
Mit der Zeit wurde ein pikantes Kürbissüppchen mit Curry aufgetragen. Das kam ausgezeichnet an. Später kam der 1. Fischgang an: gebackene Felchen aus dem Sempachersee (aus dem Hallwilersee war gerade nichts herauszuholen) zu Salzkartoffeln mit einer Sauce auf Sauerrahmbasis mit Kräutern. Perfekt. Die Filets waren saftig. Der 2. Fischgang bestand aus gedünsteten Felchenfilets mit einer Weinrahmsauce – in beiden Fällen wurde ein farbenfrohes Gemüse serviert. Die Sauce erfüllte alle Ansprüche nach einer Unterstützung des delikaten Geschmacks frischer Fische. Sie bestand im Wesentlichen aus einem Fonds, Wein und Rahm.
 
Zu den Fischgängen tranken wir einen schon beinahe goldfarbenen Amigne, eine rare Spezialität aus dem Wallis mit einer Spur Restsüsse, die auf eine Spätlese schliessen lässt. In einer betagten Schrift („Dicitonnaire Provins“, 1984) steht geschrieben: „Das Bukett einer Flasche Amigne vermag mit seinem Duft ein getäfeltes Kämmerchen zu erfüllen.“ Und in solch einer getäfelten Nische haben wir den Wein und das Essen in einer ausgelassen fröhlichen, genussfähigen Runde erlebt.
 
Die Dessertkarte enthält ebenfalls Hausgemachtes wie Pannacotta, umgeben von Quittenstückchen und einer süssen Quittensauce, andere assen eine Zwetschgencrème und waren des berechtigten Lobes voll. Der Wirt und Koch Eichenberger mit den purpurfarbenen Hosenträgern unter der Schürze und angegrautem, gescheiteltem Haar kam herbei, erkundigte sich nach unserem Befinden. Uns traf ein kritisch prüfender, juristischer Blick, der zusammen mit den ausgeprägten Augenlidern anzeigte, dass ein Idealismus mitspielt; das ist kein Schwärmer, der alles glaubt, sondern ein kritischer Denker, der sich seine eigene Meinung bildet und zur Opposition bereit ist. Seine kräftige Nasenform verrät Planmässigkeit und Gründlichkeit.
 
Mein Standardlob hatte ich bereits dem Servierpersonal gegenüber geäussert: Die Fischgerichte seien so gut gewesen, dass sie von mir zubereitet worden sein könnten. Das wurde mit Gelächter quittiert, wie es nach treffenden Witzen einsetzt. Denn da war doch einer, der das noch viel besser kann.
 
Und das will etwas heissen.
 
 
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