Textatelier
BLOG vom: 12.09.2012

Rein: Deutsches Bier enthält keinerlei Schaumstabilisatoren

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Als unter Kopp-Online am 06.09.2012 berichtet wurde, dass für Biere, die nach dem deutschen Reinheitsgebot hergestellt werden, auch künstliche Schaumstabilisatoren (z. B. E405: Propylenglycolalginat = Emulgator, Verdickungsmittel) zur Anwendung kommen, war die Aufregung unter den Biertrinkern in meinem Bekanntenkreis gross. Mancher dachte sich, nun wisse er, warum der Schaum in seinem Bierglas so lange steht. Unkritische Leser nahmen diese Meldung als Tatsache hin. Ein Leser schrieb: „Die Meldung hat mich erschüttert, mir wurden alle Illusionen vom reinen Bier genommen.“
 
Da ich als Autor des Textateliers solche Meldungen mit Skepsis betrachte, entschloss ich mich, eine gründliche Recherche durchzuführen. Und da kam etwas ganz anderes heraus.
 
Zunächst schrieb ich einige Brauerein an. Dieter Schmid, Geschäftsführer, Diplom-Braumeister und Diplom Betriebswirt, von der Waldhaus-Brauerei (D-79809 Waldhaus), antwortete mir in einer E-Mail vom 09.09.2012 dies:
 
„In Deutschland gilt nach wie vor das Reinheitsgebot für Bier. Somit sind keine sonstigen Zusatzstoffe erlaubt und werden auch nicht verwendet. Im Artikel (Kopp-Online von Christine Rütlisberger) wird englisches Bier mit deutschem Pils verglichen und dann festgestellt, dass in Deutschland der Schaum auf dem Bier minutenlang hält, während das in England nicht der Fall ist. Die Schreiberin zieht daraus die Schlussfolgerung, dass in Deutschland Alginat zur Schaumverbesserung eingesetzt wird. Der Schreiberin dieses Artikels gehört die Lizenz entzogen. Wieder mal ein Beispiel für eine miserable Recherche, verbunden mit Effekthascherei und Dummheit.“
 
Ich gebe Herrn Schmid Recht. Es ist in der Tat so, dass Journalisten aus Zeitgründen keine guten Recherchen machen können oder aus Effekthascherei angebliche „Sensationen“ publizieren. Das kommt heute leider immer gut an. Solche unqualifizierten Berichte zeigen auch auf, dass der Journalist oder die Journalistin von der Materie keine Ahnung haben. Und eines darf man nicht vergessen: Solche Meldungen und Gerüchte können sich geschäftsschädigend auswirken.
 
Die Waldhaus-Biere gehören zu meinen Lieblingsgetränken, enthalten sie doch ausschliesslich Brauwasser, Gerstenmalz und Naturhopfen (die Gerste stammt aus integriert-kontrolliertem Anbau).
 
Betrachten wir einmal das deutsche Reinheitsgebot von 1516. In diesem Gebot ist der entscheidende Satz von Bedeutung: „Insbesondere wollen wir auch, dass fortan in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zum Bier nichts weiteres verwendet werden soll als Gerste, Hopfen und Wasser.“ Später kamen noch die Hefe und der Weizen dazu. Die Gerste und der Weizen kommen als Malz in das Bier.
 
Das Gesetz, das durch den bayerischen Herzog Wilhelm IV. erlassen wurde, gilt als eines der ältesten Lebensmittelgesetze der Welt.
 
Wie kommt der Schaum auf das Bier?
Dass es auch ohne Schaumstabilisatoren geht, möchte ich jetzt näher betrachten: Der Schaum auf dem Bier ist ein Zeichen für Qualität und dass es das richtige Mass an Kohlensäure enthält.
 
Laut „Bier-Lexikon“ entsteht der Schaum erst beim Einschenken: „Erstens durch die Luft, die bei diesem Vorgang ins Bier kommt und zweitens durch die Kohlensäure. Sie perlt als Kohlendioxid in kleinen Bläschen aus, steigt nach oben und würde – wenn es Mineralwasser wäre und kein Bier – in die freie Luft davonfliegen. Das Bier enthält Bestandteile, die feine, elastische Häutchen bilden können. Die umhüllen das Gas. So entstehen winzige Ballons. Die Klebekraft der Bläschen verhindert, dass die Ballone davonfliegen.“
 
Die elastischen Hüllen stammen aus den Bierzutaten, insbesondere sind es Abbauprodukte von Eiweiss, das mit dem Malz in die Würze kam. Der Hopfen steuert ebenfalls Bestandteile, die an der Schaumbildung beteiligt sind, bei. Ohne Hopfen käme es nicht zu einem langlebigen Schaum.
 
Es gibt in der Tat Schaummittel wie Metallsalze, Alginate oder Akazien-Gummi. Diese Mittel geben einen schönen Schaum, aber das Bier schmeckt bei Weitem nicht so gut wie das reine, deutsche Bier.
 
Laut einem Urteil vom 12.05.1987 dürfen auch europäische Biere mit Zusatzstoffen in Deutschland verkauft werden. Die Deutschen schüttelten jedoch vor Entsetzen ihre Köpfe, was ihnen da vorgesetzt wurde. Sie verzichteten weitgehend auf diese Billigbiere.
 
Folgende Rohstoffe und Zutaten in ausländischem Bier waren oder sind noch zulässig: Weizen, Mais, Reis, Stärke, verschiedene Zuckerarten, Enzyme für den schnellen Stärkeabbau, Ascorbinsäure, diverse Süssstoffe, Konservierungsmittel und Dickungsmittel für die Schaumstabilisierung. Durch diese Zusatzstoffe wurde nach meiner Ansicht ein ehemals „reines Produkt“ verhunzt.
 
Nochmals möchte ich betonen, dass in Deutschland die oben erwähnten Schaummittel und andere Zusatzstoffe verboten sind. Kein Wunder, dass in einem Öko-Test alle geprüften deutschen Biere mit „sehr gut“ abschnitten.
 
Feinde des Schaums
Es gibt jedoch einen Feind des Schaums. Dieser macht sich unweigerlich bemerkbar, wenn das Glas fettig ist oder mit Lippenstift, der ja aus einem Gemisch von Wachs und Fetten besteht, verunreinigt ist. Das wussten schon die Studenten. Sie kamen dahinter, dass die Wirte die Krüge wegen des Schaums nicht voll mit Bier füllten. Bevor die Studenten nachbestellten, schmierten sie ihre Krüge mit einer Speckschwarte aus. Es bildete sich so gut wie kein Schaum und sie konnten sehen, ob die Krüge voll mit Bier waren. Die Burschen tranken dann ihre Krüge schnell aus und da spielte der Schaum wohl keine Rolle mehr.
 
Der Schaum hat eine weitere Aufgabe. Dazu ziehe ich wieder das berühmte Bier-Lexikon zu Rate. Dort steht das Folgende: „Der Schaum wirkt gewissermassen als schützender Deckel überm Inhalt des Glases. So verhindert er, dass die im Bier enthaltene Kohlensäure (Kohlendioxid) frei herausperlt und in der Luft verfliegt. Er sorgt also dafür, dass auch Bier, das schon länger im Glas steht, noch frisch und nicht schal schmeckt. Denn diese Frische wird ja hauptsächlich durch die Kohlensäure bestimmt.“
 
Und noch eine wichtige Eigenschaft der Kohlensäure: Sie bewirkt eine Freisetzung der Geschmackstoffe aus dem Bier.
 
Aber Achtung! Auch wenn richtig eingeschenkt und das Glas super gereinigt wurde, kann der Schaum zusammenfallen. Das ist der Fall, wenn der Mund mit Fett überzogen ist. Wir trinken ja oft ein Bier nach unseren Wanderungen und verzehren dazu Würste oder Speck. Man könnte nach jedem Bissen die Fettränder von den Lippen wischen, aber das ist wohl nicht durchführbar. Ich kenne Wanderfreunde, die eben das Bier schneller austrinken und gleich ein neues bestellen. Dann haben sie immer einen frischen Schaum.
 
Wie wir gesehen haben, können wir auf das reine, deutsche Bier vertrauen. Es lohnt sich also, sich genau zu informieren, ob Meldungen der oben erwähnten Art dubios sind oder der Wahrheit entsprechen.
 
Internet
 
Literatur
Scholz, Heinz: „Richtig gut einkaufen“ (Die moderne Lebensmittelkunde für den Alltag), Verlag Textatelier.com, Biberstein (Schweiz).
 
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