Textatelier
BLOG vom: 27.06.2012

Heilpflanzen in der Stadt 1: Königskerze bei Heiserkeit usw.

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Am 19. und 20.06.2012 war ich in Schopfheim D mit dem Fahrrad bei relativ gutem Wetter unterwegs, um einige Pflanzenraritäten zu fotografieren.
 
Die Entdeckung: Eine majestätisch anzusehende Königskerze (Wollblume), die aus einem Spalt in der Nähe eines Treppenaufgangs an einem Wohnhaus empor wuchs. In einem Arrangement waren 10 gelbe Blütenkerzen zu sehen. Welch eine Vitalität steckt doch in solch einer Pflanze, um Hindernisse aller Art zu überwinden! Ähnliches beobachte ich immer wieder im Frühjahr beim Löwenzahn, der aus der kleinsten Ritze in die Höhe strebt. Eine Nachbarin erzählte mir, dass an diesem Haus die Königskerze jedes Jahr hervorspriesse. Zu einem Hausbewohner, der auch die Pflanze bewundert, sagte sie: „Das Schönste an diesem Haus ist die Königskerze.“ Die Königskerze ist eine wichtige Heilpflanze, wie wir sehen werden.
 
An 2 anderen Stellen in der Stadt entdeckte ich eine Schwarze Königskerze (Verbascum nigrum) und eine Grossblumige Königskerze. Die eine spross am Rande eines Parkplatzes, die andere vor einer Hecke, und beide strebten in die Höhe.
 
In Europa sind übrigens 13 Arten der Königskerze bekannt. Einige sind medizinisch unwirksam (z. B. die Schwarze Königskerze mit ihren violett gefärbten Staubgefässen oder die Lichtnelken Königskerze mit weissen, wolligen Staubgefässen).
 
Stammpflanzen: Verbascum densiflorum B. (= Verbascum thapsiforme Schrader; Grossblumige Königskerze) und Verbascum phlomoides L. (Gemeine Königskerze bzw. Filzkönigskerze).
 
Königskerze: hilfreich bei Husten
Die Königskerze war bereits zur Zeit des grossen griechischen Arztes Hippokrates bekannt. Dioskorides und Plinius schrieben der Pflanze eine Wirkung bei Durchfall, Krämpfen, Zahnschmerzen und chronischem Husten zu. Nach Lonicerus ist sie ein gutes Mittel bei Herzbeschwerden, Fieber, Husten und Hauterkrankungen. In unserer Zeit erfüllt die Pflanze bei Husten und Heiserkeit ihren Zweck.
 
Blütezeit: Juni bis August (September).
 
Arzneilich verwendeter Pflanzenteil: Blüten
 
Volksnamen: Goldblume, Marienkerze, Katzeschwanz (Baden), Wullestengel (Baden), Wundblume, Frauenkerze, Unholdkerze, Wollstange, Donnerkerze, Wetterkerze, Neunmannskraft, Schafschwanz, Löwenfackel, Bullenkraut, Osterkerze (Pflalz). In England wird die Pflanze Torch Weed flowers und in Frankreich Fleurs de bouillon blanc genannt.
 
Inhaltsstoffe: Pflanzenfarbstoffe, Aucubin, Saponine, Sterole, Pflanzensäuren, Invertzucker, Schleimstoffe. Die Königskerze zählt wie die Eibe und Malve zu den schleimhaltigen Heilpflanzen.
 
Innerliche Anwendung (Tee, Tinktur, Sirup): Husten, Bronchitis, Kehlkopfentzündung, Heiserkeit. In der Volksmedizin hatte die Königskerze eine Bedeutung bei Rheuma und Harnverhaltung.
 
Anmerkung: Viele Husten- und Bronchialtees enthalten neben anderen Heilpflanzen die Königskerze.
 
Teebereitung: 1 bis 2 Blüten mit 150 ml kochendem Wasser übergiessen und nach 10 bis 15 Minuten abseihen.
 
Trifloris-Essenz*: Bruno Vonarburg empfiehlt die Grossblütige Königskerze u. a. bei Atemwegerkrankungen, Bronchitis, Bronchialasthma, Heiserkeit (mit Bassstimme), Stimmverlust, Halskratzen, Kehlkopfkatarrh, Entzündungen im Hals- und Rachenraum, Hustenreiz durch trockene, staubige Luft, Autoabgase, Zigarettenrauch oder Ozonsmog, Kitzelhusten, trockenem Heuschnupfen mit Reizungen im Kehlkopf.
 
*Trituration = Milchzuckerverreibung der Heilpflanze und Herstellung der Blütenessenzen. Beide zusammen bilden die sogenannte Trifloris-Essenz. Infos unter www.trifloris.ch.
 
Äusserliche Anwendung (Öl): Einreibemittel bei Nervenschmerzen, Hämorrhoidalknoten und Juckreiz in der Anal- und Genitalregion (hier ist auch ein Sitzbad zu empfehlen).
 
Der Schweizer Kräuterpfarrer Johannes Künzle (1857−1945) hatte folgende Empfehlung parat: „Man siedet die Blüten in Milch und legt sie wie ein Pflaster auf leidende Stellen bei Ausschlägen, Geschwüren und Hämorrhoiden (neue Schreibweise: Hämorriden).
 
Herstellung von Königskerzenöl: Blüten in ein Glasgefäss mit Schraubverschluss füllen, Olivenöl darüber giessen und 3 Wochen stehen lassen (täglich umrühren, am Schluss filtrieren).
 
Hustentee: Gleiche Teile Königskerze, Isländisch Moos, Lindenblüten, Spitzwegerich, Salbei und zerstossene Fenchelfrüchte mischen und einen Tee bereiten. Bei Husten mehrmals am Tag eine Tasse Tee trinken.
 
Hinweis: Königskerzenblüten gut trocken aufbewahren, sonst Schimmelbildung!
 
Bestandteil von Kräuterbüscheln
Die prachtvollen Königskerzen sind auch Bestandteil der Kräuterbüschel (Weihbüschel, Würzbüschel, Wirzwische), die am 15. August an Mariä Himmelfahrt (Maria Himmelfahrt) in die Kirchen getragen und dort gesegnet werden. Der katholische Feiertag Mariä Himmelfahrt und die damit verbundene Kräuterweihe wurde übrigens 813 in Deutschland eingeführt. Es gibt Büschel mit 7, 9, 66, 77 und 99 verschiedene Pflanzen. Nach der Weihe kommen Teile des Büschels unters Kruzifix, in den Stall oder auf dem Dachboden. Haus und Hof sind dann angeblich vor Blitzschlag geschützt. Erkrankte Tiere erhalten bestimmte Heilpflanzen ins Futter.
 
Anneliese Wulff, Kräuterfrau aus Schönau D sagte mir, dass in ihrem Heimatort siebenerlei Kräuter zu einem Strauss zusammengebunden werden. Nach der Weihe kommen die Pflanzen für 1 Jahr in den Herrgottswinkel. Sie verschenkt auch Teile davon an Verwandte und gute Freunde. „Die so geweihten Kräuter sind gut für Leib und Seele“, betonte sie anlässlich meines Besuchs.
 
Königskerze und Thymian
Nach einem Vortrag, den Frank Hiepe und ich in Wieden, Kreis Lörrach, vor Landfrauen hielten, meldete sich eine ältere Frau und erzählte uns, wie sie Schnupfen bekämpft. Sie bringt Wullblümli (Wollblume), Thymian und Kirschenstängel in einen Topf mit heissem Wasser und atmet mit einem Tuch über den Kopf die heilsamen Dämpfe ein.
 
Königskerze zur Wettervorhersage
Viele Anzeichen in der Natur wurden in früheren Zeiten zur Wettervorhersage genutzt. Auch heute noch beobachten kundige Wetterpropheten die Zeichen der Natur. Früher glaubte man, wenn die Spitze der Königskerze sich gegen Westen neigt, dann komme schlechtes Wetter. Beugte sich die Spitze jedoch nach Osten, dann brachte diese gutes Wetter. Beim Abreissen von Blüten wurde ein Gewitter heraufbeschworen!
 
Hatte sich eine Königskerze auf ein Grab verirrt, dann glaubten die Menschen, der Tote leide im Fegefeuer. Sofort wurde dann eine Wallfahrt unternommen. Inzwischen wurde ja das Fegefeuer vom Vatikan abgeschafft, und man braucht dann keine Wallfahrt mehr zu unternehmen.
 
Fortsetzung folgt!
 
Literatur
Grau, Jung, Münker: „Beeren, Wildgemüse, Heilkräuter“ (Steinbachs Naturführer), Mosaik Verlag, München 1983.
Künzle, Johannes: „Das grosse Kräuterheilbuch“, Verlag Otto Walter AG, Olten 1945.
Scholz, Heinz; Hiepe, Frank: „Arnika und Frauenwohl“, Ipa Verlag, Vaihingen 2002.
Vonarburg, Bruno: „Natürlich gesund mit Heilpflanzen“, AT Verlag, Aarau 1993.
Vonarburg, Bruno: „Energetisierte Heilpflanzen“, AT Verlag, Aarau 2010.
 
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