Textatelier
BLOG vom: 11.05.2012

Ode an eine beliebte Farbe: Vom Grünen, vom Wachsen

Autor: Richard Gerd Bernardy, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, Viersen/Niederrhein D
 
Wenn ich aus meinem Wohnzimmerfenster schaue, überwiegt die Farbe grün: die Blätter der Birke, die Büsche und Bäume, das Gras der Wiese. Grün in vielen Schattierungen, je nach Sonneneinstrahlung und einem blauen oder grauen Himmel immer wieder unterschiedlich.
 
Man kann sich den Farben auf vielerlei Wegen nähern: physikalisch, esoterisch, historisch, literarisch, gefühlsmässig, u. v. m.
 
Mich interessiert vor allem der sprachliche Aspekt. Redewendungen und Idiome mit der Farbe grün gibt es viele. Noch grün hinter den Ohren sein und Sich grün und blau ärgern, sind nur 2 davon.
 
Beim einen ist es die Unerfahrenheit, die damit angesprochen wird, beim anderen der Ärger, womit eine Änderung der Gesichtsfarbe gemeint ist. Grünes Licht geben verweist auf die Ampelfarbe grün, die Erlaubnis, sich zu bewegen, gibt. Grün wird vom hypothetischen Urgermanischen gröniz abgeleitet.
 
Im Sanskrit ist grün harita (in Hindu hara), eine Übersetzung von englisch green (as a plant), living; fresh, new; soft, tender, full of feeling, warm, loose, flaccid. ShukaharitaH bedeutet literarisch papageiengrün. Aus dieser Sprache kann ich die Farbe also nicht ableiten, eher schon vom Begriff wachsen; vrddhi ist ein Sanskritwort mit der Bedeutung „Wachstum, Wuchs, Wachsen“.
 
de.wiktionary.org gibt eine gute Ableitung: Grün geht auf das althochdeutsche gruoni zurück. Dieses und das mittelhochdeutsche grüene, das altsächsische grôni, das mittelniederdeutsche grOne, das mittelniederländische groene, das niederländische groen, das altenglische grene, das englische green, das altnordische green, sowie das schwedische grön gehen auf ein zur Zeit des Neuhochdeutschen untergegangenes Verb zurück, das im Althochdeutschen gruoen, im Mittelhochdeutschen grüejen (wachsen, spriessen), im Mittelniederdeutschen grôjen, im Mittelniederländischen groeyen und grôyen, im Niederländischen groeien (wachsen), im Altenglischen growan (wachsen, spriessen), im Englischen grow (wachsen) und im Altnordischen groa (wachsen, grünen) lautete. Sowohl das Adjektiv als auch das Verb lassen sich auf die indoeuropäische Form *ghrô- und somit auf die indoeuropäische Wurzel *gher- (hervorstechen bei Trieben von Pflanzen, Stacheln, Borsten, Kanten, wachsen, grünen) zurückführen.
 
Wachsen und Grünen – ein Feuilleton zum Grün
Als Gerribert eines Morgens aufwachte – es war April und die ersten Sonnenstrahlen kündigten einen schönen beginnenden Frühlingstag an – und in den Spiegel sah, stellte er fest, dass seine Haut grün geworden war. Beim Anziehen sah er, dass es nicht nur sein Gesicht und seine Hände waren, sondern sein ganzer Körper, der diese Farbe angenommen hatte. Es war kein dunkles Grün, sondern die frische Farbe, die Gras und Blätter im Frühling bekommen, wenn sie spriessen. Gleichzeitig fühlte er sich jung und vital. Nur seine Haare waren dunkel geblieben, obwohl er sich nicht sicher war, ob sie nicht die Farbe des Holzes von Bäumen angenommen hatten.
 
Er zog seine Sportkleidung an, aus einer Laune heraus hatte er sich vor ein paar Tagen eine Hose und ein langärmeliges Hemd in der Farbe gekauft, die die Soldaten als Tarnkleidung bei ihren Uniformen benutzten und ging hinüber zum Feld. Er joggte und stellte fest, dass er so schnell laufen konnte wie schon seit Jahren nicht mehr. Er lief in den Wald. Niemand hätte ihn dort entdecken können, denn er verschmolz mit dem Grün der Bäume und Sträucher, eine perfekte Symbiose. Er glaubte auch, an Körpergrösse zugenommen zu haben.
 
Er überlegte, was zu tun sei. Mit diesem grünen Gesicht konnte er sich im Büro und bei seinen Kunden nicht blicken lassen. Hier auf seiner Laufstrecke begegnete ihm an diesem frühen Morgen niemand. Er blieb einen Augenblick stehen. Eine Amsel flog heran und setzte sich auf seine Schulter. Sie schien keine Angst zu haben. Langsam lief er tiefer in den Wald hinein.
 
Die Sonnenstrahlen drangen kaum noch durch die Kronen der Bäume hindurch. Alles schien ihm sehr vertraut, das Laub, durch das er schlurfte und damit vor sich her schob, die Bäume, der Specht, der oben in einem Baum unter der Rinde nach Nahrung suchte. Ein Eichhörnchen kam einen Baum herunter, sah zu ihm hinauf und plötzlich sprang es an ihm hoch, bis auf den Kopf und von dort aus auf einen Ast eines Baumes, neben den er gerade getreten war.
 
Seine Füsse schmerzten. Ohne sich hinzusetzen, zog er seine Schuhe und Strümpfe aus. Auch seine Füsse waren gewachsen. Er lief ein paar Schritte weiter und blieb stehen.
 
Dann spürte er, wie sich seine Zehen in den Boden bohrten. Seine Beine und seine Füsse standen dicht beieinander. Es entstand kein Gefühl der Angst, obwohl er sich nicht mehr von dem Platz in der Lichtung wegbewegen konnte. Er streckte seine Arme nach oben. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Langsam fühlte er, wie durch seine Zehen hindurch eine Flüssigkeit nach oben wanderte.
 
Er fühlte sich starr und gleichzeitig auch stark. Er konnte seine Arme nicht mehr senken, wollte es auch nicht mehr. In dieser Stellung fühlte er sich wohl. Sonnenstrahlen erreichten seinen Kopf und eine wohlige Wärme durchfloss ihn. Aus der Entfernung war er im Halbdunkel des Waldes nicht mehr von den anderen Bäumen zu unterscheiden.
 
Als Gerribert einige Tage nicht im Büro erschienen war und auch über sein Handy nicht zu erreichen war, machten sich die Arbeitskollegen Sorgen. Niemand wusste, was mit ihm los war. In seiner Wohnung war er nicht anzutreffen. Nach einiger Zeit liess die Polizei unter Mithilfe des Hausmeisters sie öffnen. Es gab keinerlei Hinweise auf seinen Verbleib. Seine Kollegen gaben eine Vermisstenanzeige auf.
 
Es waren schon fast 2 Jahre vergangen, als ein Förster durch den Wald streifte und auf die Lichtung trat. „Wer macht denn so was?“ fragte er sich, als er einen Baum sah, der mit einem Hemd bekleidet war, ganz in der Farbe des Baumstammes und kaum sichtbar. Der Förster wunderte sich, sah an dem Stamm nach oben. „Wie haben diese Lausejungen das denn geschafft, den Baum so anzuziehen?“, dachte er. Aus der knorrigen Baumspitze waren Äste gewachsen. An den Ästen sah man viele junge hellgrüne Blätter. Ein gesunder Baum, dachte der Förster.
 
Sein Hund bellte und zog an der Leine. Der Förster liess sich von ihm in eine Richtung ziehen. Vielleicht hat er Wild gesehen, dachte er.
 
Hinweis auf einen Feng-Shui-Artikel zur Farbe grün im Textatelier.com
 
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