Textatelier
BLOG vom: 22.03.2012

Engstligenalp: Wo Schneekanonen den Eispalast schiessen

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
 
Berner Oberland. Spiez am Thunersee. Einbiegen ins Kandertal, das nach Süden verläuft. Aber diesmal fuhr ich nicht nach Kandersteg und durch den Lötschberg ins Wallis, sondern verliess das mittlere, verästelte Kandertal bei Frutigen nach rechts und folgte in südsüdwestlicher Richtung dem Engstligental (Landwasser) – der Eiszeit (Diluvium) entgegen – zum Eispalast und den Iglus auf der Engstligenalp.
 
Monumentalplastik aus der Eiszeit
Ob kalter Winter, Frühling oder Sommer: Die Eiszeit, die vor etwa 2,7 Millionen Jahren begann (setzt man die arktische Vergletscherung an ihren Anfang), hat in dieser Landschaft deutliche Spuren hinterlassen. Denn damals modellierte der bis 750 Meter dicke Kandergletscher kraftvoll am Gebirgsbild der Alpen herum. Er schuf Trogtäler und Karen, womit kesselförmige Eintiefungen an den Berghängen gemeint sind, die manchmal als Bergseen in Erscheinung treten; der nahe Blausee aber ist ein Quelltopf im Bergsturzschutt (Blog vom 22.07.2011: Blaues Wunder: Warum der Blausee so blau, blau, blau blüht“).
 
Die gewaltige Vorarbeit des Gletschers wurde im Verlaufe der geologischen Zeiträume durch die normale Erosion weiterführt, die zusätzliche Kerben ausfräste. Das etwa 21 km lange Längstal des Bachs Entschlige (Schreibweise auf der neuen Landeskarte, früher: Engstligenbach), den unten einige Erlenbestände begleiten, ist im oberen Teil schmal und tief eingeschnitten, was natürlich den Strassenbau an den steil abfallenden, rutschigen Hängen des V-förmigen Tals enorm erschwert und kostspielig gemacht hat; im gefährlichsten Bereich musste ein Tunnel gebaut werden. Immerhin kann man auf der Strasse recht gut kreuzen. Auf der Ostseite, insbesondere auf Geländeterrassen, haben sich erstaunlich viele Weiler und Einzelhöfe niedergelassen: Büel, Achsete, Hirzbode, Bunderle, um nur einige zu nennen. Der Untergrund gehört hauptsächlich zur Kalkkette des Lohner (heute: Loner). Andere Verhältnisse sind gegenüber, im Flyschgebiet der Niesenkette, anzutreffen: schiefrige, tonige und rutschgefährdete Gesteine geben hier den Ton an, und viele Bachgräben haben sich in die Hänge eingefressen; doch auch hierhin wagten sich Einzelhöfe und ganze Weiler vor (Gempele, Ladholz, Rinderwald).
 
Bei der Ussere Schwand beginnt das exzessiv verhäuselte Dorf Adelboden (rund 3600 Einwohner), wo etwa die Hälfte der Wohnbauten Zweitwohnungen sind, das heisst einfach als Feriendomizil dienen – man spricht in solchen Fällen von „kalten Betten“. Die Infrastrukturanlagen haben die Steuerbürde, die auf den Einwohnern lastet, erschwert. Hier sieht man auf den ersten Blick, dass der umtriebige Landschaftsretter Franz Weber mit seinem erfolgreichen Vorstoss zur Begrenzung des Zweitwohnungsbaus Recht hatte, obschon Bauvorschriften, die offenbar die Châlet-Bauweise bevorzugen, für ein recht einheitliches, ruhiges Bild sorgten. Selbst die intensiv belebte Hauptstrasse im Adelbodner Dorfzentrum ist von lauter Châlets begleitet, abgesehen selbstverständlich von der Dorfkirche mit dem Turm aus dem Jahr 1433.
 
Wintersport mit Tradition
Das Dorf strahlt eine gemütliche Behäbigkeit aus, und zwischen den Häusern hindurch kann man immer wieder einen Blick auf eine Felswand auf der gegenüber liegenden Talseite erhaschen. Auch in diesem Adelboden, dem „edlen Boden“ mit den würzigen Futterkräutern, wird dem Eis hofiert, gibt es hier doch ein Eissportzentrum. Es gehörte früher der Tourismus-Organisation, die sich das nicht leisten konnte, und es ist heute im Besitz der Gemeinde, die es zu einer Freizeit- und Sportarena ausgeweitet hat. Der Ort tat alles, um seine Bedeutung als berühmter Sommer- und Winterkurort zu mehren und baute zu diesem Zweck z. B. direkt unter dem Dorfzentrum ein grosses Parkhaus.
 
Den Wintertourismus hatte 1903/04 Wilhelm R. Rickmers in Schwung gebracht, ein deutscher Skipionier und Gründungsmitglied des Ski Club of Great Britain. Er schuf eine Gäste-Skischule, der wohl erste Lehrbetrieb dieser Art. Der Unterricht stützte sich auf die Lilienfeld-Methode, das heisst, es wurde nur ein einziger Skistock benützt.
 
Schon im Januar 1903 wurde in Adelboden der erste kombinierte Wintersportkampf veranstaltet. Die Ecken der Pisten waren mit Wimpeln abgesteckt, um welche die Rennfahrer verhältnismässig gemütlich kurvten. In der Folge entwickelte Vivian Caulfield, der ein Grundlagenwerk über das Skilaufen („How to Ski“, 1910) verfasste, im Engstligental neue Ideen, welche die Skitechnik vorantrieben und sich auf 2 Stöcke abstützten. Das berühmte Arlberg-Kandahar-Rennen soll ein direkter Abkömmling der ersten Adelbodner Skirennen sein. So sehen es jedenfalls die Adelbodner, und die müssen es ja wissen. Erst 1911 wurden die verschiedenen Wintersportarten klar getrennt. Der Skisport begann sich zu spezialisieren und zu einer halsbrecherischen Sportart aufzuschwingen. Die Pisten sind in lange Matratzenlager verpackt.
 
Aufgerüstet
Die Gegend um Adelboden war für mich ein Stück Nostalgie, vom Vergessen gefährdet. Vom 01. bis 08.02.1975 hatte ich im Dorf mit meiner Familie eine Ferienwohnung gemietet; damals war gerade die neue Goldelbahn Gils-Hahnenmoos in Betrieb genommen worden. Sie löste die 20-jährige Sesselbahn ab.
 
Wie ich meinem eigenen, am 07.03.1975 erschienenen Bericht im „Aargauer Tagblatt“ („Adelboden – ein Kurort gibt sich Mühe“) entnehme, gab es damals im Bereich der Skiregion Adelboden/Lenk bereits 9 Bergbahnen und Lifte. Besonders hervorgehoben habe ich die Sillernabfahrt nach Gilbach, die über 800 Höhenmeter führt und zu den schönsten Routen zählt ... aber für die meine Skitalente nicht ausreichten und ich schon damals Sorge zu meinem Skelett trug. Meine Feststellung über die Skiroute basierte auf dem Hörensagen.
 
Eine Kunsteisbahn und eine Curlinghalle existierten bereits, und auf der Engstligenalp (1964 m ü. M.) unter dem Tschingellochtighorn, dem Steghorn und dem Wildstrubel wurden Loipen für den Skilanglauf vorbereitet. Ein Auszug aus meinem damaligen Bericht: „Im Winter 1973/74 sind nach Angaben von Kurdirektor Dr. Fred Rubi in Adelboden nicht weniger als 400 000 Übernachtungen registriert worden, und allein an einem Stichtag im Februar 1975 waren 7500 Gäste da, die aber in der weiten Landschaft und in den vielen Hotels, Pensionen und Ferienhäusern sehr wohl Platz finden. Man ‚trampt’ sich nicht auf den Füssen bzw. Skischuhen herum.“
 
Inzwischen wurde die gesamte Skiregion Adelboden-Frutigen-Lenk intensiv ausgebaut. Sie wäre nicht mehr mit dem seinerzeitigen Zustand zu verglichen, stünden die Bergriesen nicht unverrückbar in der zunehmend genutzten Landschaft. Die erwähnte Region, in der früher Zündholzschächtelchen hergestellt wurde und die Spanschächtelchen-Produktion noch heute für touristischen Souvenirs besorgt ist, beherbergt heute 56 Transportanlagen, über 170 km Pisten aller Schwierigkeitsgrade, einschliesslich der Weltcup-Riesenslalom-Piste auf dem Chuenisbärgli. Dazu kommen 23 km Langlaufloipen sowie 74 km Winterwanderwege.
 
Meine beiden Töchter, die bei unseren Ferien 1975 das 1. bzw. 2. Schuljahr absolvieren, entdeckten andere Souvenirs: die stimmungsvollen Igel-Postkarten, die fast ein wenig an die detailtreuen Gemälde von Albert Anker erinnerten. Auf ihnen wurde das Leben und auch das Skifahren in all seinen Variationen zum Ausdruck gebracht. Dadurch mehrten sich unsere tatsächlichen Wintererlebnisse hinein ins virtuelle. Es waren glückliche Tage in Adelboden.
 
Das Dorf als Herzstück des weitläufigen Sportzirkus liegt auf 1350 Höhenmetern und wird heute vom Verkehr umfahren, folgt man den Wegweisern „Engstligenalp“ auf einer schmalen Strasse durch das Bodentälchen tiefer hinein in den Talkessel bis Unter dem Birg. Der öffentliche Automobilverkehr Frutigen-Adelboden AG (AFA) erschliesst das Kander- und Engstligental. Unter dem Birg ist die Talstation der Engstligenalp-Luftseilbahn in der Nähe der berühmten Engstligen-Wasserfälle, an denen vorbei man im Sommer auf vielen Stufen eines steilen, beschwerlichen Zickzackwegs in knapp 3 Stunden zur Engstligenalp aufsteigen kann. Östlich des „Tals des Bodens“ ragen die abweisenden Flühe (Felswände) des Gross Loners in den blauen Himmel. Auf der Westseite sorgt der Grat des Chuenisberglis und der Tronegg für eine Art abgewandelter Horizontale, die in den Bergen nicht mit dem Lineal, sondern in freihändiger Beschwingtheit gezeichnet ist. Die Linie steigt dann über die kantige Fitzerschneide auf den Fitzer (2458 m) an. Und immer dominiert der breite, schneebedeckte Wildstrubel das Bild. Man ist voller Spannung, wie es denn weiter oben, auf der Engstligenalp, aussehen könnte.
 
Die Bergfahrt am Seil
Bei der Talstation steht ein grosser Parkplatz zur Verfügung, dessen Benützung bei meiner Exkursion vom 15.03.2012 noch gratis war; doch wird, wie mir ein Seilbahnangestellter sagte, eine Bewirtschaftung diskutiert. Die Retourfahrt kostet 24 CHF, mit Halbtaxabo die Hälfte (www.engstligenalp.ch). Als es noch keine Bahn gab, also bis 1937, war die Alp im Winter unerreichbar.
 
Die steile Bahn mit der vollgepferchten Kabine (Menschen, Wintersportausrüstungen, Rucksäcke – und bei meiner Reise waren noch 2 disziplinierte Berner Sennenhunde mit von der Partie) weitet mit zunehmender Höhe den Ausblick. Das wilde Wildstrubelgebiet macht seinem Namen alle Ehre. Die Seilbahn schwebt über hohe Nadelbäume, nähert sich den steilen Abhängen und Felsen des Gross Loner und taucht nach wenigen Minuten in den offenen Schlund der Bergstation Engstligenalp ein. Geführt von seitlichen Leitplanken kommt sie zur Ruhe, und ein Bahnangestellter öffnet die Schiebetüren.
 
Auf der Alp
Diese Luft! Kühl, frisch, rein. Die Sonne, welche den schneeweissen Schnee reflektiert, quälte zuerst meine Augen, selbst hinter der Sonnenbrille. Entfernt man sich von den Bergstationbauten und dem zum Verkauf ausgeschriebenen, neu erstellten Châlet „Wildstrubel“, breitet sich die Wintersportarena Engstligenalp in voller Wucht vor dem Besucher aus – die grösste Hochebene der westlichen Schweizer Alpen. Und wenn man den bis in die Hänge hinauf ausfransenden Skisportbetrieb sieht, kann man es kaum fassen, dass unter der meterdicken Schneedecke das berühmte Naturschutzgebiet mit den im Sommer grünen Auen liegt ... ich weiss sehr wohl, dass auch der vergängliche Schnee zur Schutzzone gehört. Eines der Gletscherbächlein war in einer Vertiefung unter der Schneedecke bereits zum Vorschein gekommen, kündigte den bevorstehenden Frühling an. In den Hängen verlaufen Skipisten steil herunter zum Grund der Hochebene. Variantenskifahrer haben ihre Bogenmuster in den Schnee gezeichnet, filigrane Kunstwerke, beim Wedeln entstanden.
 
Diese Alp, schon 1232 als Itensscigulam (bzw. Henscigulam) in einem Dokument erwähnt, weil sie damals vom Ritter Werner von Kien an den Bischof Landri von Sitten geschenkt wurde (was ihm Gott vergolten haben mag), diente schon damals der Sömmerung von Vieh, wobei man über die Berggängigkeit des Rindviehs nur staunen kann. Die Sömmerungszeit ist auf etwa 10 Wochen begrenzt. Auch Schafe wurden hinaufgetrieben, die das Feld beherrschten, als die Wolle für die Tuchfabrikation im Frutigland noch etwas galt. Ein Viehweg durch die Fluh wurde erst 1904/05 ausgesprengt. Man nahm die Mühsal und die Gefahren in Kauf; denn die Sennen sangen und singen noch heute: „Was kann es Schön’res geben / als das Alpenleben.“
 
Von den Eskimos inspiriert
Alpenleben der ausgefallenen Art auf der Engstligen: Eine grosse Winterattraktion ist seit dem Winter 2005 der sogenannte „Fondue-Iglu“ in der Nähe der Bergstation, der als Schrittmacher für viele weitere Klein-Iglubauten auf dem offenen Feld wirkt. Er wurde in dieser Saison am 17. Dezember 2011 eröffnet und soll, wenn temperaturmässig alles gut geht, noch bis zum 08.04.2012 in Betrieb sein, bevor er der Schneeschmelze überlassen wird.
 
Diese Betätigungsmöglichkeit im Schnee, für die im Wesentlichen eine grob gezähnte Säge zum Herausschneiden von Schneeblöcken und eine Schaufel genügen, ist von den Eskimos inspiriert. Allerdings liess man sich nicht auch noch vom Rohfleischfressen (Bedeutung des Namens eskimantsik) anstecken, sondern im Eispalast gibt es Käsefondue.
 
Noch rechtzeitig, bevor die grosse Schneeschmelze einsetzte, meldete ich mich bei der Iglu-Leiterin Nadja Henschel (aus Dresden D) auf den sonnigen, warmen 15.03.2012 an und wurde zur Mittagszeit im kühlen, mit gedämpftem Kerzenlicht beleuchteten Iglu-Hotel liebevoll empfangen, in dem es dezent nach Käse-Fondue duftete. Das Eisbauwerk, gesponsert von der Bank Valiant, besteht aus 7 durch Torbögen und Gänge miteinander verbundene Iglus. In ihnen können insgesamt 120 Personen an 24 Tischen unterschiedlicher Grösse den heissen, geschmolzenen Käse auf der Zunge noch komplett zergehen lassen können, nachdem man an der Eis-Bar auf die passende Betriebstemperatur hinunter gekühlt wurde.
 
„Kutaa“ würden die Esikmos (Inuit) zur Begrüssung sagen. Die Atmosphäre in der feudalen Iglu-Eiswelt ist einmalig, ein Kunstwerk ohne irgendeinen Bezug ans banale Innere eines Kühlschranks, abgesehen von der Temperatur, die normalerweise zwischen + und - 3 °C schwankt. Weil es draussen bei meinem Besuch frühlingswarm war, musste die Aussentür jeweils sofort geschlossen werden, um den Schmelzprozess nicht unnötigerweise zu beschleunigen.
 
Der künstlerische Schmuck in den Iglus stammt vom Adelbodner Bildhauer Björn Zryd (www.bjoernzryd.ch). Er wandte für die Schneehauerei 7 Tage auf, schnitt Eisfiguren in die Wände, und besonders das Baumzimmer ist zu schade, um dem Schmelzprozess anheim zu fallen. Dasselbe gilt auch für die Werke aus der Eisfactory Uetendorf BE, die echte Rosen und sogar Münzen in dekorative Eiskuben einbettete und so zur Ausschmückung der Räume beitrug.
 
Frau Henschel führte mich durch diese kühlende Unterwelt und schilderte die Bauweise des Palasts. Zuerst werden 2 Ballone mit 5 m Durchmesser aufgeblasen und dann mit Kunstschnee frisch ab Kanone zugedeckt. Der Vorgang erinnerte mich an die Bauweise in Palestrina (dem alten Praeneste, östlich von Rom), wo die Ruinen des Heiligtums der Fortuna aus dem 3. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung stehen – eine riesige Anlage aus nebeneinander liegenden Tonnengewölben. Diese wurden nicht gemauert, sondern über eine Schalung gegossen. Auf der Engstligenalp übernimmt ein Ballon die Aufgabe der Schalung. Die so entstehenden einzelnen Räume werden aneinandergefügt. Wenn sich der Schnee verfestigt hat, kann die Luft abgelassen und die Hülle entfernt werden. Dann werden die Hohlräume miteinander verbunden und geschmackvoll eingerichtet.
 
Das Fondue, das in einer kleinen Küche in einem Container frisch zubereitet wird, mundete hervorragend; als pflichtbewusster Liebhaber von geschmolzenem Käse kann ich das sehr wohl beurteilen. Es bestand aus einer Mischung von Gruyère und Freiburger Vacherin (Moitié-Moitié) mit etwas Bergkäse aus der Adelbodner Käserei Manfred Schmid. Zuviel Alpkäse würde das Fondue ausfetten lassen, erklärte man mir dort. Im Iglu wurden dazu Pfeffer, Paprika, Origanum (Dost), der unter anderem gegen Erkältungen wirkt, und Curry gereicht. Weisswein und Kirsch dazu sind für mich nicht minder wichtig.
 
Iglus, selbst gebaut
Bei der anschliessenden Verdauungswanderung auf der grossen Tour rund um die Alp auf dem kristallklaren Schnee kam ich an vielen Schneehaufen vorbei, die sich bei genauerem Hinsehen als teilweise bereits eingestürzte Iglus für den Privatgebrauch erwiesen – ein ganzes, zerfallendes Iglu-Dorf. Einzelne der gebogenen Wände waren hauchdünn, und doch schimmerte ein türkisblaues Licht aus den Räumen, die wenige Tage vorher zum Übernachten gedient haben mögen und alte Kinder- und Erwachsenenträume von klirrende Kälte, Schnee, Ruhe und Sternen wach werden liessen. Im Schlafsack ist es nicht kälter als im eigenen Bett, falls man daheim auch im Winter bei offenem Fenster schläft – zudem behält man im Iglu die meisten Kleider an, sicher warme Socken, eine Kopfbedeckung und Handschuhe. Das Erlebnis von Arktis ist perfekt.
 
Der Arktisforscher Vilhjálmur Stefánsson berichtete 1912, dass es in einem Iglu bis zu 50 °C wärmer beziehungsweise weniger kalt als draussen sein kann. Bei einer Aussentemperatur von -46 °C konnte er auf der Schlafplattform +4 °C messen, auf Deckenhöhe sogar 16 °C. Der Mensch ist ja selber ein Heizkörper, was bei den momentanen Energiesparmassnahmen gern vergessen wird.
 
In einiger Entfernung bauten Schüler von der Rudolf-Steiner-Schule Langenthal BE an Iglus; einige Mädchen zeigten sich vom Heraussägen von Eisblöcken aus der kompakten Schneedecke erschöpft. Lehrer, worunter ein ehemaliger Zimmermann mit einem ledernen Sonnenschutz auf der Nase, Klaus Lang, führten in die Geheimnisse der Iglu-Architektur ein, stiessen aber mit der Förderung der Gruppendynamik offensichtlich an gewissen Grenzen.
 
Zuerst muss der Schnee, wo das Iglu gebaut werden soll, mit einer Lawinenschaufel kreisförmig etwa 50 cm bis 1 m tief ausgegraben werden; man wähle unbedingt eine lawinensichere, möglichst windgeschützte Stelle. Mit Hilfe einer Schnur und Skistöcken vom Zentrum aus erhält man die perfekte Kreisform. Dann werden die mit der Eissäge (Fuchsschwanzsäge) gelösten zirka 50 × 60 cm grossen und etwa 20 bis 25 cm dicken Blöcke auf festgestampftem oder kompaktem Schnee aneinander gereiht – und zwar mit einer leichten Neigung nach innen. Die Blöcke werden fest zusammengestossen und verbinden sich durch die Hilfe der Sonnenwärme miteinander schnell; ansonsten werden sie mit Schnee abgedichtet. Der Weiterbau der Wände, die oben zu einer Kuppel werden sollen, wird immer schwieriger, da die Schneeblöcke mit der Zeit einen Neigungswinkel von 45 Grad erreichen, bis nur noch der oberste Teil des Dachs offen bleibt. Und das exakte Zuschneiden und Einfügen des Deckels, der etwas zu gross sein muss und dann beschnitten wird, am Scheitelpunkt ist eine äusserst knifflige Aufgabe, kann man doch nicht beliebig herummurksen, was das Kunstwerk zum Einsturz bringen würde. Das Gewölbe ist erst dann fest und in sich selbst ruhend, wenn es geschlossen ist. Anschliessend soll noch ein Tunneleingang angefügt werden, der rechtwinklig zu den winterlichen Schneewinden angelegt sein sollte, so dass er vor allfälligen Stürmen schützt und noch gleich zugeweht wird. Hier schaufelt man einen Graben aus. Das Iglu wird innen poliert, überflüssiger Schnee nach aussen entsorgt und eine gemütliche Schlafplattform erreichtet, die höher als der oberste Punkt des Eingangs sein soll.
 
Schnee-Wanderung
Nun war ich also über die Iglu-Architektur im Bilde, setzte meinen Rundgang über die Alpenfläche fort. Da ich keine Schneeschuhe bei mir hatte, war das Wandern abseits der verdichteten Wege beschwerlich. Man setzt den Fuss auf, hat das Gefühl von festem Untergrund und sinkt dann bei der Gewichtsverlagerung bis 20 cm tief ein. Meine annähernd 90 kg Körpergewicht (inkl. Kleidung) machten die Sache nicht einfacher, nicht leichter. Doch auch daraus zog ich Nutzen: Der Kalorienverbrauch wurde, wenn ich die Füsse aus dem Schnee herausziehen musste, erfreulich in die Höhe getrieben.
 
Auf der Alp herrschte viel Betrieb; sogar Schlittenhunde konnten es kaum erwarten und bellten, bis endlich wieder eine neue Fahrt gestartet wurde. Schnelle, motorisierte Raupenfahrzeuge sorgten für die Logistik.
 
Und dann sah ich erstmals die Wintersportart Snowtubig: Man lässt sich auf einem Reifen mit dünnem Boden in der Rundung in die Höhe ziehen und kann dann in einem Schneekanal hinunter gleiten. Vielleicht ist das etwas für Schneetubeli (Menschen von beschränkten Kenntnissen im sportlichen Umgang mit der weissen Pracht) wie mich. Doch habe ich immerhin meine Lernfähigkeit auf der Engstligenalp erneut unter Beweis gestellt.
 
Gegen Abend schwebte ich in der wiederum vollgestopften Luftseilbahn ins Tal hinab und parfümierte das Kabineninnere, in dem wir wie Sardinen standen, mit meinem Fonduekäse-Geruch. Der Seilbahnbetreuer wusste sofort, was ich gegessen hatte und sagte, bei Talfahrten am Abend sei das manchmal noch viel schlimmer.
 
Ich fühlte mich schuldig, die sonst reine Bergluft beeinträchtigt zu haben. So ein Vergehen geht auf keine Kuhhaut – unter welcher der Käse seinen Anfang nimmt, den ja schliesslich jemand essen muss ... Mit dieser Feststellung konnte ich die Kuh vom Eis bringen, wie man sagt: die Lage entschärfen.
 
 
Quellen
Günter, Anne-Marie, und van Hoorick, Edmond: „Berner Oberland“, Silva-Verlag, Zürich 1988.
Klopfenstein, Hans: „Wanderbuch Kandertal“, Kümmerly & Frey, Bern 1954.
 
Tips
Adelboden Tourismus
Dorfstrasse 23
CH-3715 Adelboden
Tel.: +33 673 80 80
Internet: www.adelboden.ch
 
Berghotel Engstligenalp AG
Unter dem Birg
CH-3715 Adelboden
 
Iglu bauen und übernachten:
Alpinschule Adelboden
www.alpinschule-adelboden.ch
 
Internet
 
Eine vorzügliche Anleitung zum Schneebiwak- und Iglu-Bau von Thomas Ammann findet sich unter http://www.iglu.ch/documents/leben_im_schnee/Broschuere_Biwakbau.pdf
 
Bergbahnen
Betelberg/Lenk; Chuenisbärgli; Elsigen-Metsch; Engstligenalp; Metsch/Lenk; Silleren/Hahnenmoos; Tschentenalp.
 
Auengebiete
Auf dem Gebiet von Adelboden gibt es seit 2003 3 geschützte Auengebiete von nationaler Bedeutung:
• Engstligenalp (alpine Schwemmebene), No. 1352,
•Hornbrügg am Ende des Gilbachtals (subalpine Flussaue), No. 323 und
•Lochweid im hinteren Teil des Tschententals (montane Flussaue), No. 324.
 
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