Textatelier
BLOG vom: 03.07.2010

Gestohlene Velotaschen, lustige Kinder, Kurzweil im Bus

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
Heute liess ich mein Velo zu Hause, im Abstellraum gut geschützt. Es wurde bestohlen. Diebe halfterten in den Abendstunden im Velostand Bahnhof Altstetten die praktischen Seitentaschen ab. Ich erkannte mein Rad kaum mehr. Die Seitentaschen gaben ihm eine gewisse Behäbigkeit. Ohne diese steht es nun mager und nackt da. Immerhin, es ist noch da. Das ist das Wichtigste.
 
Die Reise ohne Velo, am Tag danach, wurde dann zu einer Art kleiner Entschädigung, obwohl nicht von den Dieben organisiert. Auf dem Velo bin ich immer allein. Im Tram und Bus aber unter Mitmenschen und ihren Geschichten.
 
Auf der Busstation traf ich mit einer jungen Frau und 2 Kindern zusammen. Der ältere Bub begann plötzlich herzzerbrechend zu weinen, und obwohl der jüngere nicht wissen konnte, warum, wollte er auch losheulen. Es gelang mir, ihn abzulenken. Ich trommelte ein bisschen an die Plakatwand, wechselte die Stellen, damit sich die Töne veränderten. Das gefiel dem Kleinen im Kinderwagen, und er zeigte mir, ohne zu sprechen, da, dort, oben, unten, auf dem blauen Feld, auf dem grünen usw. solle ich auch noch klopfen. Und er lachte dazu, weil ich ihn verstand. Inzwischen hatte die Mutter erfahren, warum geweint wird. Der grössere Bub hatte sein Spielzeugauto, das er gestern bekommen hatte (Kosten: Fr. 45.–), in den Hort mitnehmen wollen und dieses nun auf der Ablage am Kiosk liegen gelassen, als sie dort noch Proviant einkauften. Und jetzt konnte die Mutter nicht zurückgehen und nach ihm suchen, denn der Bus traf ein. Es blieb ihr nichts anderes übrig. Die Kinder müssen pünktlich im Hort sein.
 
Noch immer traurig, aber doch schon etwas gefasst, verliessen sie wenig später den Bus, und an ihrer Stelle stieg eine Schulklasse ein. Diese 2. Primarklasse ging auf die Schulreise in den Sihlwald. Eine lustige Schar, Kinder aus aller Welt mit erwartungsvollen Blicken, gut gekleidet und mit dem Proviant am Rücken. Sie ergatterten die letzten freien Sitzplätze. Kurz war die gemeinsame Fahrt mit ihnen. Nach 2 Stationen mussten sie schon umsteigen. Das galt auch für mich. Aber unsere Ziele waren verschieden.
 
Inzwischen war es 9 Uhr geworden. Die Berufstätigen waren an ihren Arbeitsplätzen. Die Autos in den Garagen und die meisten Sitzplätze im Tram und Bus verwaist. Wenn ich mit dem Velo in die Stadt fahre, richte ich es meist so ein, dass ich diese ruhige Phase nützen kann. Kurze Zeit waren im Bus meiner 2. Wahl nur gerade 3 Plätze besetzt, dann aber stürmte eine Kindergartenschar herein. Als wir über die Hardbrücke fuhren, hörte ich hinter mir eine Bubenstimme, wie diese auf den „Prime Tower" verwies. Das sei das höchste Haus von Zürich und der Schweiz, wusste der 6-Jährige. Stimmt. Die vorgesehene, alles überragende Höhe ist schon erreicht. Der Bau aber noch nicht vollendet. Ein Kollege widersprach, das sei kein Haus. Doch es sei ein Haus. Nein, es sei kein Haus. So ging das hin und her. Ich erwartete immer eine interessante Übersetzung des englischen Namens. Ich habe noch nie eine solche gehört. Einig wurden die beiden nicht. Der eine bestand darauf, dass dies ein Haus sei und der andere verneinte es hartnäckig. Endlich kam es aus ihm heraus. Das sei ein Geschäft!
 
Stimmt. Aus Zeitungen war schon zu erfahren, wie hoch die Mietkosten für Räume in diesem prestigeträchtigen Turmbau angesetzt sind. Es war auch schon die Rede vom Kaufpreis einer ganzen sogenannten Eigentumsetage. Schwindel erregende Zahlen. Obwohl ich mir solche Preise nicht merke – Angebote dieser Art sind jenseits meiner Bedürfnisse – mag es 100-prozentig zutreffen, was der Bub aus dem Kindergarten sagte: Das sei ein Geschäft.
 
Mir gegenüber sassen 2 Mädchen. Sarah und Alessia. Sie zeigten mir ihre Namen auf den orangefarbigen Schutzwesten. Freimütig erzählten sie, ihr Ausflug sei keine Schulreise, sondern eine Chindsgi-Reise (Chindsgi=Kindergarten). Sie würden den Zoo besuchen.
 
Dann widmeten sie sich wieder ihren eigenen Geschichten. Ich hörte die Frage: Wie viele Grossväter hast Du? Ich habe zwei. Ich auch. Eigentlich habe ich nur noch einen Grossvater. Der andere ist gestorben. Ich wollte ihn am Morgen wecken, stupfte ihn. Da war er schon gestorben. Sterben ist nicht schön. Die andere: Mein Grossvater stirbt jetzt dann auch gerade. Er ist im Spital. Er ist ganz weiss im Gesicht.
 
Wie schön ist es, wenn Kinder gleichen Alters alles aussprechen können, was sie gerade beschäftigt. Kürzlich wurde am Radio einer Person die Frage gestellt: Was war das Schönste in ihrer Jugend? Die Antwort, die der Mann gab, ist mir entfallen, aber sofort wusste ich, was für mich das Schönste war: Dass ich eine Schulfreundin hatte und ihr auf dem langen Schulweg alles erzählen konnte, was mich bewegte.
 
Ich konnte mir vorstellen, wo die Klasse aussteigen werde und hoffte, dass keines der Kinder ein anderes von der Traminsel schupfe. Aber alles war gut eingeübt. Die Kindergärtnerin rief die Kinder im Bus zusammen, erinnerte daran, dass jedes das bestimmte Gspäänli (Mitschüler, Mitschülerin) an der Hand halte und alle zusammen warten müssten, bis der Bus weggefahren sei.
 
Ich fühle grossen Respekt den Lehrpersonen gegenüber. In der Stadt einen Haufen Kinder so zu führen, dass sie den Weisungen folgen, ist nicht Nichts. Die Hektik des Strassenverkehrs und die vielen Ablenkungen ganz allgemeiner Art sind beträchtlich. Zusätzlich gibt es immer Kinder, die gerne spassen, andere necken und selbstvergessen reagieren. Die Verantwortung ist riesengross.
 
Lehrer sollten es erleben können, dass ihnen die dann erwachsenen Schüler erzählen, wie spannend die Schulreisen waren und welche Erlebnisse und Erfahrungen ihnen immer noch wichtig sind.
 
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