Textatelier
BLOG vom: 12.06.2010

In Biberstein und Umgebung dreht sich vieles ums Wasser

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
 
Wenn die Buschauffeure der AAR bus+bahn zwischen Aarau und dem östlichen Bibersteiner Dorfteil Ihegi (Eingeborenensprache: Irehegeli), wo sich die Wendeschlaufe befindet, ihre Runden drehen, dreht sich selbst bei ihnen manchmal etwas ums Wasser. Man sollte jetzt nicht gleich ans Schlimmste, an die Prostata denken, sondern es sind die ganz normalen Entwässerungsbedürfnisse, wie sie jeden Menschen gelegentlich übermannen bzw. überfrauen.
 
Das Wartehäuschen bot bisher zwar einige Deckung, doch war die Sache mit der „biologischen Pause“, von der der Jurist und Bibersteiner Vizeammann Markus Siegrist in literarisch beinahe überhöhter, einfühlsamer Sprache sprach, im Übrigen unbefriedigend gelöst. Zur Erleichterung der Busfahrer investierte die Gemeinde für die Erweiterung des mit schönen Ziegeln gedeckten Buswartehäuschens „Ihegi“ um eine WC-Anlage CHF 56 038.45, um ganz genau zu sein – CHF 6038.45 mehr als von uns Stimmberechtigten im Hinblick auf das Bauvorhaben bewilligt worden war. Die Mehrkosten ergaben sich, weil für den Bau der Wasserzuleitung, die vor allem im Dienste von Spülzwecken steht, unerwartet Jurakalkpartien zu durchbrechen waren; es war erwartet worden, die Leitung könne ins Aufschüttmaterial verlegt werden. Das Busunternehmen zeigte sich von der knauserigen Seite und wird nur 10 000 CHF an die Aufwendungen bezahlen.
 
Das Trinkwasser und der Kugelfang
Ich erzähle diese Geschichte bloss, um zu zeigen, auf welch gründliche, aufwendige, ja geradezu weitsichtige Weise Probleme in Biberstein angegangen werden, gerade auch beim Umgang mit dem Wasser und den Wässerchen. Dem Trinkwasser wird dieselbe Aufmerksamkeit zuteil wie dem Abwasser. Diese Köstlichkeit tritt aus der südlichsten Jurafalte heraus, verschont uns von Kalziummängeln und hat als lebensfrohes Quellwasser natürlich unendlich höhere Qualitäten als Grundwasser. Denn in den Untergrund von Flusstälern wie dem mittelländischen Molassebecken versickert nicht nur Wasser in Mineralwasserqualität, sondern eigentlich alles, was auf die durchlässigen Böden gelangt. Oft schon habe ich darüber gestaunt, wie geduldig die Filtrationswirkung unserer Böden ist. Der Umstand, dass das Wasser in einem ständigen Fluss ist, hat manchmal auch seine Vorteile, was die Reinigungswirkung betrifft.
 
Nicht allein in Flusstälern, sondern auch an Jurahängen spielen sich immer wieder zivilisatorische Ereignisse ab, die eine potenzielle Gefahr fürs Wasser sind. Im Fall, über den hier berichtet werden soll, sind es militärische, solche also, die der Landesverteidigung dienen. So werden wir tapferen Tellensöhne laufend im präzisen Schiessen trainiert, damit wir unser Land beim Auftauchen böser Feinde nach altväterischer Art verteidigen können und wir am Ende nicht noch unter die Fuchtel von Brüssel oder gar – noch schlimmer – US-Amerika geraten. Aus solchen Gründen gab es in Biberstein zwischen 1938 und 1997 eine 300-Meter-Schiessanlage mit 9 Scheiben im Maienholz, dort oben also, wo der bewaldete Teil des Jurahangs ist: oberhalb der Eichgasse. Seither wird im nahen Buchs AG gemeinsam geschossen. Die Überschiessrechte waren in Biberstein nie richtig geklärt; die Landbesitzer waren grosszügig. Jetzt haben sich Jäger im unbenützten Schützenhaus eingenistet; die Einheit der Materie ist gewahrt.
 
Zu einer Schiessanlage gehört ein Kugelfang. Denn nachdem sie das Zentrum der Scheiben durchschlagen haben, müssen die von Sturmgewehren abgefeuerten, hauptsächlich aus Blei bestehenden Projektile abgefangen werden. Am Bibersteiner Abhang übernahmen während des fast 60 Jahre dauernden Schützenfests das schräge Erdreich zusammen mit den darunter ruhenden verkarsteten Kalken die Aufgabe des Kugelfangs. Und es gibt einen freundlichen, tüchtigen Mann in Biberstein, Willi Hunziker, der seinerzeit jeweils Kugelfänge etwas vom Blei entlastete, das Schwermetall in die Schmelze brachte und damit ein kleines Einkommen erzielte; man sagte ihm, dem Umweltentlaster, liebevoll „Blei-Boy“.
 
Die Geschosse wurden ab 1985 durch eine Prellschiene aufgehalten, entfernt und durch ein Gemisch aus Sägemehl und geschroteten Altreifen ersetzt. Blei kann man z. B. für Strahlenschutzmassnahmen (gegen Gamma- und Röntgenstrahlung), Akkumulatoren, als Gewichte zum Auswuchten von Autorädern, verschiedene Legierungen usf. verwenden. Früher setzte man es noch dem Autobenzin (Bleibenzin) zu – bei gravierenden Umweltfolgen, sind Bleiverbindungen doch giftig.
 
Und weil der Bibersteiner Kugelfang in der Gewässerschutzzone S2 (der mittleren) ist, soll er gründlich entgiftet werden, was auch durch die Altlastenverordnung des Bundes verlangt wird. Die Quellfassung ist etwa 320 Meter weit entfernt, und beim Kugelfang finden sich keine Oberflächengewässer. Nach einer amtlichen Gefahrenabschätzung würden Spuren von Schwermetallen, insbesondere Blei, in zirka 60 Jahren ins Trinkwasser eindringen. Ich werde dann genau 133 Jahre als sein, und weil ich auch dann noch bei vollkommener Gesundheit weiterleben möchte und vor allem im Interesse des Nachwuchses bin ich ein glühender Befürworter der Kugelfangausräumung und werde den 325 490 CHF an Kosten, wovon die Gemeinde etwa die Hälfte zu tragen hat, an der Gemeindeversammlung vom 24.06.2010 freudig zustimmen. Das toxische Material wird nach der Kreditbewilligung an Ort und Stelle sortiert und je nach Verseuchungsgrad fachgerecht entsorgt.
 
Die Versammlung der 111 Jahre alten Bürgerlichen Vereinigung Biberstein (BVB), die diesmal von Vizepräsident Peter Leutwyler angenehm geleitet wurde, befasste sich im Restaurant „Kreuz“ an der Küttigerstrasse in Aarau beim Warten auf Pasten (Teigwaren) und Pizzen bei verschiedartigen Flüssigkeiten mit solchen Geschäften, Lehrstücken tiefenscharfen gemeindedemokratischen Geschehens, kompetent navigiert. Referent Siegrist, der es bei der BVB zum Beisitzer im Vorstand gebracht hat, bewältigt lokale Probleme mit Blick auf das bundesrechtliche Geschehen souverän.
 
Das Aarekraftwerk in Aarau
Die rund 2 Dutzend Teilnehmer waren vorgängig im Aarekraftwerk der IBAarau Kraftwerk AG ins delikate Thema Wasser eingetaucht (www.ibaarau.ch). Das KW liefert der Stadt Aarau und 22 weiteren Gemeinden, worunter Biberstein, Elektrizität. Jährlich werden 480 Millionen Kilowattstunden produziert, wie von Hansjürg Tschannen, dem Leiter des Kraftwerks und der Unterwerke, zu erfahren war.
 
Die Vorbereitungen für eine Teilerneuerung dieses 1894 in Betrieb genommenen Kraftwerks mit dem viereckigen Turm in der Mitte, auf dem ein Spitzhelm sitzt, sind zurzeit im Gange; gleichzeitig soll der umgebende Aareraum ökologisch so weit als möglich mit Geschick aufgewertet werden, bei gleichzeitiger Verbesserung der Hochwassersicherheit. So ist geplant, im Schachenwald ein Umgehungsgewässer anzulegen, das die Aare mit dem Restwasserkanal verbinden und die Fischgängigkeit verbessern wird; sogar Lachsen wird der Weg geöffnet, falls sie denn endlich kommen. Die Restwassermenge, bisher 5 Kubikmeter pro Sekunde, wird verdoppelt; und das Restwasser quetscht vorerst das 2005 erstellte Dotierkraftwerk noch aus. Denn die zunehmend energiesüchtige Zivilisationsgesellschaft muss ja ebenfalls zufriedengestellt werden.
 
Summa summarum: Umwelt und Energie sollten auf ihre Rechnung kommen, und dabei werden lauter Kolumbus-Eier ausgebrütet. Weitere Schutzgebiete (etwa eine Aufweitung des Oberwasserkanals mit flachem Ufer), Naherholungsanlagen, die Befriedigung von Landwirtschaftsbedürfnissen, Hochwasserschutz und Produktionssteigerungen müssen unter einen Hut gebracht werden. Dieses Kunststück scheint tatsächlich zu gelingen, selbst in architektonischen Belangen. Das neue, nördliche Maschinenhaus 2, das einem modernisierten griechischen Tempel nachempfunden ist, wird lichtdurchlässig sein und mit dem Flusswasser seine optischen Spiele treiben.
 
Der altehrwürdige Mittelturm, der praktisch nutzlos in der Landschaft, d. h. mitten in der Aare herumsteht, gehört zum gewohnten KW-Bild, und er soll als „Landmark“ (Tschannen) erhalten bleiben. Oben im Turm gähnt die Leere, während der untere Teil noch für Bürozwecke und dergleichen gebraucht werden kann. Meine Frage, ob der Architekt der bestehenden Anlage, der eine Art Kirche mit langgezogenen Schiffen über die Aare baute, besonders religiös angehaucht gewesen sei oder ob man den Turm mit der Turmuhr und der Wetterfahne als Beobachtungsposten zur Bestimmung der Menge des heranfliessenden Wassers benützt habe, konnte nicht mehr exakt beantwortet werden. Wahrscheinlich war es eine architektonische Spielerei. Man setzte der Energieproduktion gleich bei den Kaplanturbinen, die geringe Fallhöhen und grosse Wassermassen konstruiert sind, ein Denkmal, schuf einen Tempel der Stromanbeter. Moderne Wasserkraftwerke (wie das neue in Rheinfelden) versenkt man lieber grösstenteils im Fluss; sie sollen nach heutiger Auffassung unauffällig sein.
 
Das Bewilligungsverfahren für die Erneuerung des Flusskraftwerks Aarau laufen. Die Arbeiten sollen, wenn alles programmgemäss geht, ab 2015 etappenweise vorangetrieben werden; rund 140 Mio. CHF dürfte die Sache kosten, einschliesslich der ökologischen Nachrüstung. Vorher muss noch die 1954 erteilte Konzession erneuert werden; sie läuft 2014 aus.
 
Die Aare-Treppe
Die Aare mit der Abfolge von Staustufen ist ein ziemlich austariertes System; die Elektrizitätswirtschaft hat die Landschaft wesentlich geprägt. Unter dem KW Aarau ist das KW Rüchlig, und dann beginnt, flussabwärts, die Staustufe für das KW Rupperswil-Auenstein. So befindet sich Biberstein seit dem 2. Weltkrieg an einem Stausee. Ein Trost sind die überall angestrebten ökologischen Verbesserungen, etwa durch eine Renaturierung von Flussauen, wo immer möglich.
*
Ohne eine gewisse kanalisierende Infrastruktur läuft nichts. Diese Feststellung kann ja allein schon durch das Bushäuschen-WC in der Bibersteiner Ihegi (Wortbedeutung: eingehagtes, zu einem bestimmten Zweck ausgesondertes Land) belegt werden. Und auch die Schifferei (wie die Fähre über die Aare, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen), Fischerei und Flösserei hinterliessen ihre Spuren. Die BVB hatte also gute Gründe, auf solchen Hinterlassenschaften zu lustwandeln und dabei über das Morgen nachzudenken, das vom 111-Jahre-Jubiläum vom 22.08.2010 akzentuiert sein wird.
 
Doch vor lauter Festivitäten vergisst man die Bedürfnisse des anspruchsvollen Alltags nicht.
 
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