Textatelier
BLOG vom: 11.12.2009

Aisling und seine Träume: „Wir sind keine Kesselflicker“

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
„We are no tinkers“. Auf diese Überschrift von Aisling stiess ich auf einer Seite des 2. Hefts, und ich erinnerte mich beim Lesen, wie ich als Bube mit meinen Eltern in den Ferien in Andeer GR (Schweiz) einem Kesselflicker begegnet bin. Er war zur Zeit des 2. Weltkriegs im gleichen Grenzschutz-Bataillon wie mein Vater, und sie erkannten einander wieder. Mein Vater sagte nachher: „Dieser Kerl war unter jenen Bündnern gewesen, die Sack und Pack in ein Tobel (eine Geländevertiefung, Schlucht) geworfen und sich in ihre Bergdörfer verzogen hatten.“
 
Vater Aisling hatte seinen Sohn „Träumer“ genannt. Mein Vater nannte mich abwechselnd „Träumer“ oder „Phantast“. Der gälische Name „Aisling“ bedeutet Traum. Ich schloss daraus, dass beide, Vater und Sohn,  auf ihre Art Träumer gewesen sind. Meine Sympathie für Aisling vertiefte sich augenblicklich. Hier ist der 2. Auszug seiner Erinnerungen, mit meinem Titel versehen:
*
Wendepunkt in Aislings Leben
Mir gingen langsam die Augen auf, schrieb Aisling in diesem Aufsatz, dass wir Irländer anders gewickelt sind und erklärt, weshalb wir in unseren eigenen Gemeinschaften leben. Die Leute glauben, wir seien Landstreicher und Zigeuner. Der Exodus der Iren nach England begann während der grossen Hungersnot um 1850.
 
Unsere Familie und viele andere irischen Ursprungs waren in Camden sesshaft geworden. Neben unserem Haus war eine Durchfahrt zum Hinterhof. Dort waren Ross und Wagen untergebracht und dort lag das Alteisen gestapelt, alles von unserem zotteligen Setter Aindreas bewacht. Mein Vater und mein Onkel zerkleinerten dort mit Schlaghammer und Brecheisen das Gusseisen und sortierten die Metalle, wogen es und stapelten es abholbereit. Die Käufer holten es aus unserem „yard“ ab und bezahlten nach Gewicht.
 
Meine Spielgenossen hiessen Patrick, Seamus und Kieran. Auch Mädchen gehörten dazu und hiessen Fiona und Caitlin. Wir lebten frugal, ausser am Fest unseres Schutzheiligen St. Patrick. Dann kochte meine Mutter einen riesigen Irish Stew  für unsere Sippe. Wie das schmeckte und wie lärmig es an einem solchen Gelage zu und her ging, das hat Brueghel am besten gemalt. Viel Guinness und Whisky wurden getrunken, und fast unausweichlich kam es zu Schlägereien, weil alte Familienfehden aufblitzten.
 
Die Schule schwänzte ich („playing truant“) so oft es ging. Ich entwickelte ein gewisses Handelsgeschick und verramschte alte, halbwegs gerade Kerzenständer bei den Trödlern. Ich weiss nicht mehr, wie ich auf den Gedanken kam, dieses Taschengeld gegen Bücher in den gleichen Trödlergeschäften einzutauschen. Ich weiss nur noch, dass sie meinen träumerischen Hang vertieften. Ich spielte weniger auf der Strasse, aber las umso mehr.
 
Eines Tages packte mich mein Klassenlehrer beim Schopf. Ich zeterte gewaltig,als er mich in ein grosses Zimmer schleppte und glaubte, das Grosse Gericht sei über mich verhängt. Der Lehrer stiess mich auf einen Stuhl. Ich sass einer Reihe von streng blickenden Leuten gegenüber. „Schweig!“ befahl mein Lehrer und begann seine Rede ungefähr so: „Hier ist der Kerl, der nur sporadisch am Unterricht teilnimmt. Er ist bockig, wie Sie bemerken konnten und spricht ein Kauderwelsch.“ Das war ich mir wohl bewusst, denn viele gälische Sprachbrocken waren in meinem Gassenenglisch vermengt. „Aber er hat gewisse Fähigkeiten als potenzieller ,Grammar School-boy’“, fuhr er fort. Ich horchte auf, denn ich hatte von diesen Schulen gehört und beschloss, mich abwartend zu verhalten. „Now it is up to you, Ladies and Gentlemen, to check him out.” (Jetzt liegt es an Ihnen, Ladies und Gentlemen, ihn zu prüfen.) Hier endete des Lehrers kurze Ansprache, und er setzte sich neben mich.
 
Das Verhör dauerte eine gute Stunde, und ich kam mehr und mehr in Schwung. „Jetzt setz‘ dich draussen auf die lange Bank, derweil die Jury über deine Zukunft entscheidet.“ Dort sass ich etwas belämmert und war eigentlich froh ob des unerwarteten Verlaufs des Verhörs. Ich könnte belohnt statt, wie üblich, bestraft werden, ging mir durch den Kopf.
 
Der Lehrer erschien wieder, und ich folgte ihm diesmal brav und setzte mich. Ein bärtiger Mann wurde mir als Rektor der Grammar School vorgestellt. Dieser wandte sich an mich: „Das Gute an dir ist, dass du ein ungehobelter Klotz bist, aber aus Holz geschaffen, woraus sich etwas zimmern lässt. Im Kopf fehlt dir wenig, doch viel an guten Manieren. Du kannst dich gut äussern und hast dir selbst eine gewisse Bildung angeeignet. Sofern deine Eltern damit einverstanden sind, wirst du in die Grammar School aufgenommen.“
 
Meine Eltern waren damit einverstanden. Aber mein Vater fügte hinzu: „Solange dir das nicht in den Kopf steigt.“  Das versprach ich hoch und heilig.
 
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