Textatelier
BLOG vom: 31.07.2009

Trimbach am Hauenstein-Fuss: Das offenherzige Tunneldorf

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Olten ist ein schweizerischer Eisenbahnknotenpunkt von nationaler Bedeutung, der zurzeit (2008 bis Ende 2009) gerade unter dem Motto „Mehr Bahnhof“ umgebaut wird. Er soll zu einem attraktiven Bahnreise- und Dienstleistungszentrum werden. Die nördlich angrenzende Nachbargemeinde Trimbach hat vom intensiven Bahnverkehr einiges mitbekommen. Die Strecke Olten‒Läufelfingen‒Sissach („Läufelfingerli“), die schon 2 Mal beinahe eingestellt wurde, umrundet die Gemeinde auf der Ost- und Nordseite und taucht dann beim „Cheibenloch“ in den Tunnel unter dem Unteren Hauenstein ein. Dieser Hauenstein-Scheiteltunnel wurde 1853 bis 1858 im Rahmen der Bahnlinie Basel‒Olten erstellt. Im Nordosten der Gemeinde Trimbach (Nähe Winznau) beginnt in der Rankwog der jüngere Hauenstein-Basistunnel aus den Jahren 1912 bis 1916, der über Tecknau BL und Gelterkinden BL ebenfalls nach Sissach BL (und weiter nach Liestal‒Pratteln‒Basel) führt.
 
Von Tunnelbauten geprägt
Die Eisenbahnen spielen im heutigen Trimbach SO (Bezirk Gösgen) keine grosse Rolle mehr; es gibt nur am Läufelfingerli – und zwar nördlich (hangwärts) der Johanneskirche ‒ eine Haltstelle. Die grössten Einflüsse auf die Gemeinde Trimbach, deren Name Grenzbach (von lateinisch terminus) bedeutet, brachten die Tunnelbautätigkeiten als solche. Sie führten zu einer massiven Vergrösserung der Einwohnerzahl (heute 6000) und zu einer Umgestaltung der Bevölkerungsstruktur. War man bis anhin am linken Aareufer am Fusse des Hauensteins mehr oder weniger unter sich gewesen, liessen sich nun viele Auswärtige und Ausländer hier nieder, die an den Grossbauwerken, zu der auch die Brücke über die Aare gehörte, mitwirkten und sich unters Volk mischten. Die Erinnerungen sind noch lebendig und sollen es bleiben.
 
Der Lehrpfad
Die im Verschönerungs- und Verkehrsverein Trimbach (VVT) und in den Gemeindebehörden vereinigten Freunde der Eisenbahnen und insbesondere der Eisenbahngeschichte aus Trimbach und Olten haben im Mai 2008 einen ersten Teil eines Bahnlehrpfads in Betrieb genommen. Dies geschah zum 150. Jahrestag der Inbetriebnahme der Bahnstrecke Basel–Olten.
 
Der Lehrpfad beginnt bei der Haltestelle Trimbach (Tafel 1) und endet bereits nach etwa 800 m bei der Passerelle oberhalb des Trimbacher Gemeindehauses bzw. Mühlemattschulhauses (Tafel 10) – in gut 10 Minuten wäre der Weg neben blühendem Pflanzen wie Jakobskraut, Wiesen-Goldstern und Erdnuss-Platterbsen, die gern Bahndämme begleiten, zu bewältigen, würde man bei den Tafeln keinen Halt einschalten; noch nie habe ich einen Lehrpfad mit so dicht beisammen stehenden Tafeln gesehen. Wer mehr Bewegung braucht, kann den vom Trimbacher Karl Zimmermann initiierten Panoramaweg dem Geleise entlang weiter in Richtung Tunneleingang abschreiten.
 
Die 10 bebilderten Informationstafeln sind ein offenes Geschichtsbuch und auch auf der Webseite http://www.guldimann.ch/pdf/jobs/infotafeln-bahnlehrpfad-trimbach.pdf einzusehen. Sie erzählen die Geschichte von der Postkutsche zur Eisenbahn und von der 1827 bis 1830 ausgebauten Passstrasse am unteren Hauenstein, über die 1857 etwa 84 000 Reisende in Kutschen befördert wurden.
 
Der Eisenbahntunnel Trimbach‒Läufelfingen war als erster Durchstich durch ein ganzes Gebirge in der Schweiz eine grosse Herausforderung, und kaum ein Mensch glaubte damals daran, dass es möglich sein könnte, dass sich 2 gegeneinander grabende Gruppen von Mineuren im Inneren eines Berges finden könnten – dieses Kunststück ist beim NEAT-Gotthardbasistunnel (Erstfeld UR‒Bodio TI, 53,9 km) am 15.06.2009 wiederum gelungen.
 
Der 1. Hauensteintunnel musste noch mit bescheideneren Mitteln erstellt werden. Er ist das Produkt von Schwarzpulver (das Dynamit war noch nicht erfunden) und Handarbeit mit einfachen Brechwerkzeugen. Schlamm, Rauch, Dampf und Felstrümmer (brauner Jura, Lias, Keuper und stark wasserführender Muschelkalk) machten die Arbeit fast unerträglich. Vor allem Deutsche und Engländer waren am Werk. Die Arbeiten richteten sich zuerst nach der „Deutschen Methode“: Seitenstellen und Kernausbruch, dann nach der „Englischen Methode“: Vom First her abwärts wurde das volle Tunnelprofil für eine gewisse Länge ausgebrochen, und erst dann wurde mit der Ausmauerung begonnen.
 
Am 28. Mai 1857 kam es zur grössten Tunnelkatastrophe der schweizerischen Eisenbahngeschichte, bei der 63 Tunnelarbeiter und Helfer das Leben verloren haben. In einem Schacht, in dem auch eine Schmiede eingerichtet war, gerieten Stützbalken und Bretter in Brand; der Tunnel stürzte ein und schnitt 52 Arbeitern den Rückweg ab, und 11 heldenhafte Retter starben ebenfalls an einer Kohlendioxid-Vergiftung. Die am 04.02.1853 gegründete Schweizerische Centralbahngesellschaft (SCB) mit Sitz in Basel als Bauherrin bat über die Presse um Unterstützung für die Hinterbliebenen. Auf dem Friedhof bei der evangelisch-reformierten Johanneskirche Trimbach sind 2 grosse Grabmäler zu sehen, die seit 1860 an diese Tragik erinnern. Auch auf dem Hauenstein, in der Nähe des eingestürzten Schachts im „Lantel“, hält seit 1975 ein kleines Denkmal das Andenken an diese Katastrophe wach.
 
Dieses Geschehnis erinnert ein wenig an die Kurzgeschichte „Der Tunnel“ von Friedrich Dürrenmatt, worin von einem 24-jährigen Studenten erzählt wird, welcher in einen Zug geraten ist, der in einen Tunnel fährt und nicht wieder ans Licht kommt, sondern ins Erdinnere führt – also ins Ungewisse, in den Tod. Die Notbremse funktioniert nicht. „Was sollen wir tun?“ – „Nichts.“ Bestimmte Ereignisse sind nicht abzuwenden.
 
Doch die Arbeiten am Hauensteintunnel mussten fortgesetzt werden, und sie führten ja nicht zum Mittelpunkt der Erde. Sie wurden dadurch erschwert, dass die Nordrampe von Sissach nach Läufelfingen eine Steigung von durchschnittlich 21 Promille und der nach Süden abfallende Tunnel und die Südrampe gar 26,26 Promille aufweisen. Damit gehört diese Bahnstrecke zu den steilsten des Bahnnetzes – selbst der Gotthard überschreitet nirgends ein 27-Promille-Gefälle. Der zurzeit modernste Bahntunnel, der Lötschberg-Basistunnel, hat eine maximale Steigung von 13 Promille. Die neue Eisenbahn-Transversale durch den Gotthard wird bis Lugano zu einer Flachbahn mit einer maximalen Steigung von 12 Promille; der Tunnel selber verzeichnet keine nennenswerte Steigung.
 
Das Tunnelbauwerk im Hauenstein gelang. Am 01.05.1858 dampfte der erste, bekränzte Zug durch die 2496 Meter lange, zweigleisige Röhre; nach dem Woodhead-Tunnel in England (4,8 km lang) war dies der zweitlängste Tunnel der Welt. Und damit war auch die erste Bahnverbindung von Nordeuropa bis zum Mittelmeer durchgehend befahrbar. In Trimbach wurde 1915 an der Marenstrasse die erste Haltestelle mit einem Bahnwärterhaus eingerichtet.
 
Zur Bahngeschichte im Bereich Olten gehört natürlich auch die im Juli 1855 in Betrieb genommene Hauptwerkstätte in Olten, die ab Februar 1856 durch den genialen und berühmten Konstrukteur Niklaus Rickenbach (1817‒1899) geleitet wurde, der das Zahnradbahnsystem mit der Leiterzahnstange erfand. Nachdem er als Konstrukteur der Rigibahn als erster Bergbahn Europas berühmt geworden war, entwarf er die Pläne für weitere kühne Bergbahnprojekte in Europa, Indien und Brasilien. Ihm wurde auch der Bau der Eisenbahnbrücke Olten‒Trimbach übertragen, die den Fährbetrieb überflüssig machte. Die 103 m lange, behäbige und gleichwohl elegante Brücke mit den 3 Bogenöffnungen und einem Gewicht von 412 Tonnen wurde 1952 durch eine Vollwandbrücke ersetzt.
 
Zur Vervollständigung der Geschichte weist die Lehrpfadtafel 9 auch auf den Bau der 2. Eisenbahnstrecke Basel‒Olten (1912‒1917) hin, zu welcher der 8134 Meter lange Tunnel gehört. Der 1. Weltkrieg wirkte sich hinderlich auf die Bauarbeiten aus. Auch dieses Riesenwerk brachte für Trimbach viele Herausforderungen, entstand doch vor dem südlichen Tunnelportal in der Rankwog die berühmte Barackensiedlung Tripolis mit Restaurants, eigener Post, Italienerschule usf. Dort wohnten neben anderen viele Italiener in höchst bescheidenen Verhältnissen, von denen sich viele später in Trimbach einbürgern liessen. Sie gedachten mit der Namengebung der Eroberung von Tripolis (gehört heute zu Libyen) durch ihre italienischen Vorfahren. Mit Ausnahme eines Maschinenhauses beim Tunneleingang ist vom Barackendorf heute nichts mehr zu sehen. Weil die alte Hauensteinstrecke wegen der Konkurrenz durch den Basistunnel an Bedeutung einbüsste, wurde sie 1938 von Doppelspur auf Einspur reduziert.
 
Ein netter Anwohner der alten Bahnlinie, der mit einer Rasenschere den grünen Streifen unter seiner Gartenmauer exakt rasierte, erzählte mir, dass er sich vom bescheidenen Läufelfingerli-Bahnverkehr nicht besonders gestört fühle. Wenn aber der Hauenstein-Basistunnel ganz oder zur Hälfte gesperrt sei, werde die Strecke als Umleitung benutzt, und dann sei schon mehr los.
 
Die Läufelfingerli-Strecke wurde kürzlich erneuert, so dass die Geschwindigkeit der Züge um 5 km/h erhöht werden konnte; die SBB führen einen ständigen Kampf gegen die Zeit.
 
1A-Betreuung
Am 23.07.2009 habe ich mich mit der Trimbacher Bahngeschichte an Ort und Stelle vertraut gemacht, unmittelbar bevor ein heftiger, stürmischer Gewitterregen einsetzte; im letzten Moment konnte ich noch ins rettende Auto fliehen.
 
Vor dem kurzen Gang zum Bahnlehrpfad hatte ich noch auf der Gemeindekanzlei vorgesprochen und war von Gemeindeschreiber Röbi Wyss freundlich empfangen worden. Er verhalf mir zu verschiedener Literatur, beantwortete meine Fragen und zeigte mir den Weg zum Bahnlehrpfad. Ich studierte dann die Akten, die Bahngeschichte, worauf es mir endlich gelang, die Geschehnisse rund um die beiden verschiedenen Hauensteintunnel richtig zuzuordnen. Tags darauf rief mich Gemeindeschreiber Wyss daheim an, um sich nach meinem Ergehen und meinen Eindrücken zu erkundigen. So viel anteilnehmende Betreuung habe ich noch selten erlebt, und ich möchte mich auch an dieser Stelle dafür herzlich bedanken.
 
Von einem traditionell eher in sich gekehrten Dorf hat sich das moderne Trimbach offensichtlich zu einer ausserordentlich gastfreundlichen Gemeinde gewandelt, zu der auch die Burgruine Froburg gehört (Wanderzeit vom Dorf aus: 1 Std. 20 Min.); die Gemeinde hat also auch touristisch manches zu bieten. „Als Neuankömmling gehört man in dieser Gemeinde rasch dazu – wenn man dies will“, liest man auf der Webseite www.trimbach.ch. Das gilt offensichtlich sogar auch für Halbtagsgäste.
 
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