Textatelier
BLOG vom: 15.07.2008

Münchner Hofbräuhaus-Speisekarte vom 23.07.1959

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Niemand soll mir sagen, dass nur die Franzosen in einer Gastronomiesprache voller Mysterien das Menu beherrschen – an Poesie grenzend. In einem Stapel entdeckte ich kürzlich eine grossformatige Speisekarte des berühmten Münchner Hofbräuhauses, auf der Vorder- und Rückseite von A. Roeseler buntfarbig illustriert. Die Sprache zielt direkt auf den Magen ab und erweckte in mir vergessene Essgelüste. Immerhin kriege ich heute da und dort in der Schweiz einige meiner Favoriten aufgetischt, worunter Leber- und Blutwurst mit Kraut und Kartoffeln, Kalbsleber gebraten mit Speck, Bohnengemüse und Bratkartoffeln. In der Schweiz und in aller Welt ist die letztere Beilage als „Rösti“ bekannt, wenn die Kartoffeln vorher geraffelt worden sind.
 
1959 führten die Hofbräuwirtsleute Franz und Thea Trimborn diese Gaststätte und zeichneten für die Speisekarte vom Donnerstag, den 23. Juli 1959, verantwortlich.
 
Darf ich, lieber Leser, liebe Leserin, Ihren Appetit mit einer Auswahl aus dieser Karte wecken? Sehen Sie es mir bitte nach, dass ich Ihnen diese Gerichte weder zubereiten noch auftragen kann, sondern in der Theorie verharren muss.
7 Suppen sind im Angebot. Ich schlage die Tiroler Speckknödel-Suppe oder eine Tasse Schildrötensuppe als Grundlage für die Hauptspeise vor. In alter DM-Währung kostete die erstere 0,90, die letztere 1,20.
 
Unter den „Spezialitäten von heute“ empfehle ich Ihnen Schweinskopf gesotten auf Sauerkraut mit Kartoffel-Brei (1,90), es sei denn, Sie bevorzugen Frische Pfifferlinge in Kräutertunke mit Semmelknödel (2,90). Leisten Sie sich fürs Mittagessen am Sonntag den gespickten Rehrücken mit Pilzen, Spaghetti und Preiselbeeren (4,20) oder als Pfannengericht das Rumpsteak „Schweizer Art“ (Rumpsteak mit Schweizer Käse überbacken) mit Butterbohnen und neuen Bratkartoffeln (4,90), verbunden mit einer Wartefrist von 10‒15 Minuten.
 
Fehlt Ihnen die Zeit, gibt es „Pikante Kleinigkeiten“ wie Schweinsknöcherlsulz (1,10) oder schlicht und einfach Matjesfilet auf Eis mit Salzkartoffeln (1,50).
 
Der 23. Juli 1959 mag ein heisser Tag gewesen sein, an dem sich „Kalte Speisen“ förmlich aufdrängten. Meine Wahl schwankt zwischen Ansbacher Presssack oder weisser Presssack zu je 0,90. Was ein Hausgemachter Fränkischer Gelegter ist, weiss ich nicht, und ich werde mich beim Kellner erkundigen.
 
Zur abgerundeten Mahlzeit gehört eine Nachspeise, für mich unbedingt eine Buttercremetorte (1,) mitsamt einer Tasse Kaffee (‒,70).
 
„Recht guatn Appetit“, wünschen Ihnen die Hofbräuwirtsleute „und ein baldiges Wiederschauen“.
*
Gutes Essen stimmt fröhlich – fröhlicher noch die Humpen Bier, die von einem Riesenfass abgezapft werden. A. Roeseler hat die fröhlichen Zecher illustriert: Sogar eine Dame hielt mit und auch ein Knabe, mit grüner Mütze von einer weissen Feder beschickt. Der wohlbeleibte Mann mit weissem Schnauz im Vordergrund trägt vergnügt schmunzelnd seinen Humpen mit Schaumkrone und einem halben Brathendl von dannen.
 
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