Textatelier
BLOG vom: 13.05.2007

Schachbrett der Verhängnisse: „Das Leben der Andern“

Autor: Emil Baschnonga, London
 
Gestern Abend habe ich mir diesen preisgekrönten deutschen Film angeschaut, nein zutiefst mitempfunden (auf Englisch mit „The Lives of Others“ betitelt, doch sonst in der Originalsprache belassen). Ich will diesen inhaltsträchtigen Film weder mit meinem Lob überschütten noch den Verlauf der Geschehnisse aus der Stasi-Zeit aufgreifen und nachverfolgen.
 
Aber einige Blickpunkte will ich einstreuen: Etwa den Satz, den Gerd Wiesler als Spion, hinter der Abhöranlage im Estrich sitzend, lakonisch ins Notizbuch eintrug:  „Keine bemerkenswerte Vorkommnisse“, den ich als äusserst bemerkenswert und bedeutungsvoll halte.
 
Der Dichter ist ein Lauscher und Beobachter des Lebens der Anderen, das er oft mit sich selbst in Bezug bringt. Auch dieser Stasi-Spion belauscht Leute, aber sie sind seine potenziellen Opfer, als Staatsfeinde verdächtigt. Unter dem Decknamen „HGW XX/7“ überwacht er sein Opfer, ausgerechnet einen Dichter, aber aus ganz anderen Beweggründen als der Dichter seine Mitmenschen beobachtet. In diesem Film heisst der Andere Georg Dreymann und ist ein Dichter und zugleich Bühnenautor.
 
Wer kennt ihn nicht, den Typus „HGW XX/7“, gefühlskalt und hyperaktiv in der Politik und im Wirtschaftsleben tätig! Er streicht auf Kosten anderer Gewinne ein und buhlt um Status, der ihm nicht zukommt. Anders ausgedrückt, ist HGW XX/7 ein Virus, der das Herz und die Gefühle angreift und aushöhlt. Dieser Virus ist in allen Bevölkerungsschichten der westlichen Welt endemisch geworden und hat sich gewaltig ausgebreitet. Von diesem Virus befallene Menschen schauen kaltäugig in die Welt, sind gesichtslos, und begehen rücksichtslos Grenzverletzungen im Bereich der Freiheit anderer, genau wie dieser Spion HGW XX/7 ein armseliger Mitläufer der Obrigkeit, wie sie in der DDR vorherrschte. Wie kommt es, dass er sich zuletzt zum guten Menschen wandelt?
*
Jeder, der diesen Film gesehen hat, wird ihn nach seiner Art auslegen. In meinem Fall finde ich in meinen hier ausgewählten Aphorismen meine eigenen mit dem Film verbindbaren Bezüge. Vielleicht stimmen einige darunter mit Ihrer Auslegung, werter Leser und werte Leserin, überein.
 
Würden Kriege auf dem Schachbrett ausgetragen, wären Schachbrettfabrikanten ganz dafür.
 
Manche Freiheit, die sich einer nimmt, ist eine Grenzverletzung der Freiheit anderer.
 
Alltagsgesicht: Er rasiert sich morgens jeweils glatt – sein Gesicht weg.
 
Sein Herz habe er verloren, sagte er. Nein, es ist ihm davongelaufen!
 
Viele Leute tragen geradewegs schwer an krummen Gedanken.
 
Das Land hat Grenzen. Der Staat keine.
 
Epilog: Er ist längst vor seinem Tod gestorben.
 
Ein Mensch empfand es wohl: Gedanken sind frei. Einer schiesst sie ab, ein anderer schweigt sie tot.
 
Und als er, am Ende seiner Karriere, den ganzen Sandkasten endlich für sich allein hatte, merkte er, dass die Zeit ihm allen Sand weggeblasen hatte.
 
Faustregel: Damit lässt sich keine Sache anpacken.
 
Als die Freiheit endlich eingebürgert, legte sie sich erschöpft aufs Stempelkissen.
 
Die Berufsethik bleibt nach Abzug der Gewinne übrig.
 
Der Gauner sprach von Teilnahme und nahm mehr als seinen Teil.
 
Kaum zu glauben, wie leicht der Glaube an Gott sich über Menschen hinwegsetzt.
 
Ein guter Zug ist an ihm – vorbeigefahren.
 
Selten ist einer gegen die Schliche, die er ausheckt, selbst gefeit. Sonst fielen sie ihm nicht ein.
 
Die Weltherrschaft der Macht ist von Neidern umringt, die sie bejubeln.
 
Man wetzt doch eine Scharte aus, um wieder besser an den Speck zu kommen.
 
Wir sollten jene Erfolge missachten lernen, die den Raubbau der Mitwelt und der Mitmenschen bedingen.
 
Für Verse geben die meisten Leute bloss Fersengeld.
 
Zehn Takte Vivaldi haben seine Verstopfung gelöst.
*
Wie kommt es, dass er sich zuletzt zum guten Menschen wandelt? Gerd Wiesler klaute ein Buch von Bertolt Brecht, das Georg Dreymann gehörte. Abends blätterte er es in seiner trostlosen Wohnung an und stiess dabei auf den Vers: „An jenem Tag im blauen Mond September – Still unter einem jungen Pflaumenbaum – Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe – In meinem Arm wie einen holden Traum.“
 
Einige Tage später überhörte er Georg Dreymanns Klavierspiel der „Sonate vom guten Menschen“. Dieser Vers und diese Melodie gingen ihm nicht mehr aus dem Sinn.
 
Sein Gesinnungswandel vollzog sich, als er ins Notizbuch eintrug „Keine bemerkenswerte Vorkommnisse“.
 
Mir ist im Gedächtnis geblieben, wie er den Lift zu seinem Stockwerk mit einem jungen Knaben mit Ball teilte. „Bist du ein Stasi?“ fragte ihn der Kleine. „Mein Vater hasst sie.“
 
„Wie denn heisst ... dein Ball?“ fragte er ihn. Er setzte zu dieser Frage als HGW XX/7 an, aber beendete sie als der verwandelte Gerd Wiesler.
 
Das ist doch dumm“, oder so ähnlich, meinte der Knirps, „der Ball hat doch keinen Namen!“, ehe er den Lift verliess.
 
Insgeheim war Gerd Wieslers des Dichters bester Verbündeter geworden und entfernte die unter der Diele versteckte Schreibmaschine mit rotem Farbband, die Georg Dreymann an die Stasi-Schergen als Staatsfeind ausgeliefert hätte.
 
Der Dichter schrieb Jahre später sein Buch mit dem Titel „Die Sonate vom guten Menschen“, das er „HGW XX/7 in Dankbarkeit“ widmete.
 
Ich juble: Wieder einmal hat die Kunst über den Virus HGW XX/7 gesiegt!
 
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